Fritz Reinöhl: Ergänzungsband 7. Geschichte der k.u.k. Kabinettskanzlei (1963)

I. Die Entwicklung der Kabinettskanzlei - 2. Die Kabinette Maria Theresias

22 glückseligstes Gedächtnis so mühsam und so glorreich das Staatsruder durch so viele Jahre fortgeführt hat“ 64). Joseph II., dem am 17. September 1765, nach dem Tode seines Vaters, von Maria Theresia die Mitregentschaft übertragen worden war 65), über­reichte schon zu Ende dieses Jahres seiner Mutter eine Denkschrift, wel­che die eben beendete Reform der politischen und der Finanzverwaltung scharf verurteilte. Vor allem erregte der Staatsrat, je länger er bestand, desto mehr sein Mißfallen. Diese Schöpfung Kaunitzens erfüllte die gro­ßen Hoffnungen, welche Kaunitz und Maria Theresia auf ihn gesetzt hatten, nicht. Der Zweck seiner Einrichtung, „daß der Souverain zur Ober- direction aller Landes-Angelegenheiten einen vertrauten und von dem Zusammenhang der Geschäften unterrichteten Rath beständig an der Hand habe“ 66), der den Mittelpunkt der Verwaltung bilde, sich vornehm­lich mit den Grundsätzen zu befassen habe, wurde nicht erreicht. Dieser Staatsrat unterstand der unmittelbaren Leitung der Kaiserin. Die Fest­setzung von Grundsätzen für die Verwaltung, die Prüfung der Staats­finanzen und Vorschläge zu deren Verbesserung, die Abstellung von Mißbräuchen sollte seine vornehmlichste Aufgabe sein. Er hatte das Recht Gebrechen der Verfassung aufzuzeigen und den Weg zu deren Behebung vorzuschlagen. Ihm oblag auch die Ausarbeitung von Rechtsgutachten in Streitfällen mit anderen Staaten. Er hatte ferner alle von den Hof- und Länderstellen bei der Kaiserin einlangenden Vorträge zu beraten, die Entschließungen zu entwerfen und deren Durchführung zu überwa­chen 67). Anfänglich war sein Wirkungskreis auf die deutschen Erblän­der beschränkt, gar bald aber dehnte er ihn auch auf die ungarischen aus. Die außerordentlich umständliche Geschäftsgebarung, die dem Staats­rat von Anfang an aufgetragen worden war, hatte dazu geführt, daß dem Grundsatz „ehender etwas in der Zeit als in der Erforschung der Wahrheit“ zu verabsäumen, allzusehr entsprochen wurde68), daß der Staatsrat in der Behandlung der laufenden Angelegenheiten erstickte. Zunächst versuchte Joseph sich zwischen den Staatsrat und die Kaiserin einzuschieben. Er benützte den Mißbrauch, daß der Staatsrat oder rich­tiger gesagt der diesen beherrschende Minister Graf Blümegen, entgegen der Geschäftsordnung, dazu übergegangen war, die kaiserliche Entschlie­ßung noch vor ihrer Genehmigung in Reinschrift auf die Verträge zu setzen. Um dem zu begegnen schlug Joseph am 13. April 1771 seiner Mut­64) Fellner-Kretschmayr-Walter, Zentralverwaltung, Abt. II, Bd. 3, S. 51. 85) Reinöhl, Die Übertragung der Mitregentschaft durch Maria Theresia an Großherzog Franz Stephan und Kaiser Joseph II., MIÖG., Ergbd. 11, S. 650 ff. 88) Puncta 26. 1. 1761, Pkt. 15, Fellner-Kretschmayr-Walter, Zentralver­waltung, Abt. II, Bd. 3, S. 23. 87) „Agenda“ und „Puncta“ 26. 1. 1761, ebenda S. 15 ff. 88) 12. 12. 1770 wird erwähnt, daß Akten seit 1766 in den Händen der Referenten sind. StR., ZI. 4430.

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