Fritz Reinöhl: Ergänzungsband 7. Geschichte der k.u.k. Kabinettskanzlei (1963)

II. Der Monarch und seine Stellvertretung

113 neralstabes, der Generalität. Der Chef des Generalstabes und die Mili- tärattachds mußten ihre für den Kaiser bestimmten Geschäftsstücke dop­pelt ausfertigen und ein Exemplar an den Thronfolger senden. In staat­lichen Angelegenheiten ging Franz Ferdinands Wirkungskreis nicht über den oben gekennzeichneten Bereich hinaus, wohl aber war sein inoffi­zieller Einfluß auf die Innenpolitik der Monarchie besonders der öster­reichischen Reichshälfte durch unmittelbare Einwirkung auf Minister und Politiker und auch auf die Presse stark. Auch seine Einwirkung auf wichtige Ernennungen im Zivildienst wurde immer stärker, sodaß nach­weislich die Minister, bevor sie dem Kaiser ihre Anträge stellten, mit dem Thronfolger das Einvernehmen pflogen. Nach Schiessl soll der Kai­ser übrigens selbst darauf Rücksicht genommen haben, ob die vorgeschla­gene Person dem Erzherzog genehm wäre128). Zur Bearbeitung all dieser Agenden bediente sich der Erzherzog der ihm vom Kaiser am 19. November 1908 bewilligten Militärkanzlei129). Der Erzherzog zeich­nete „Auf Ah. Befehl Sr. k. k. Apóst. Majestät“. Ministerpräsident Koer- ber erzählt, einmal habe er sich beschwerdeführend an den Kaiser ge­wendet, weil Erzherzog Franz Ferdinand das ihm vom Kaiser übertrage­ne „Gnadenreferat“ gänzlich vernachlässige, der Kaiser habe aber geant­wortet: „Sind denn ich und der Erzherzog Unterschreibmaschinen?“ 13°. Nach der Ermordung Erzherzog Franz Ferdinands am 28. Juni 1914 über­trug Kaiser Franz Joseph seinem Großneffen Erzherzog Karl Franz Joseph, dem nachmaligen Kaiser Karl I., der als ältester Sohn des Erzherzogs Otto, Franz Ferdinands älteren Bruders, nunmehr Thronfolger geworden war, die Erledigung der minder wichtigen An­gelegenheiten vor allem der Gnadensachen, doch soll er sich die Kon­128) Franz Freiherr von Schiessl, Aus dem Tagewerk Kaiser Franz Josephs, Neue Freie Presse Nr. 24898 vom 6. 1. 1934. 129) vgl. Deutsches biographisches Jahrbuch, Uberleitungsbd. 1. S. 16 ff., Glaise-Horstenau, Neue österr. Biographie Bd. 3, S. 9 ff., Th. v. Sosnosky, Erz­herzog Franz Ferdinand, München und Berlin 1929, L. v. Chlumecky, Erzherzog Franz Ferdinands Wirken und Wollen, Berlin 1929, V. Bibi, Thronfolger, Mün­chen 1929, S. 237 ff., R. Ehrhart, Im Dienste des alten Österreich, Wien 1958, S. 288, O. Lorenz, a. a. O., S. 129—131, 137, (Lorenz Meinung, Franz Ferdinand habe sich einen bedeutenden Wirkungskreis errungen, der vorsichtig mit der einstigen Mitregentschaft des Sohnes der Kaiserin Maria Theresia zu verglei­chen wäre, halte ich für verfehlt, da Kaiser Josephs Wirkungsbereich sich auf alle Zweige der staatlichen Regierung und Verwaltung erstreckte, alle Geschäfts­stücke durch seine Hand gingen.), P. Nikitsch-Boulles’ (Vor dem Sturm, Er­innerungen an Erzherzog-Thronfolger Franz Ferdinand, Berlin, 1925, S. 59 f.) Mitteilung, daß die täglichen Vorträge der Ressortminister seitens der Kabi­netts- und Militärkanzlei zur Entlastung des Kaisers in den letzten Jahren dem Erzherzog unterbreitet worden seien, der Kaiser sich nur die Entscheidung über Begnadigung vom Tode Vorbehalten habe, ist zur Gänze unrichtig. 13°) Redlich, Österreichs Schicksals]ahre, 2. Bd., S. 14. R e i n ö h 1, Geschichte der k. u. k. Kabinettskanzlei 8

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