Leo Santifaller: Ergänzungsband 2/2. Festschrift zur Feier des 200 jährigen Bestandes des HHStA 2 Bände (1951)

V. Rechts-, Verfassungs- und Wirtschaftsgeschichte - 52. Oswald Gschliesser (Innsbruck): Zur Geschichte der Grundrechte in der österreichischen Verfassung

Zur Geschichte der Grundrechte in der österreichischen Verfassung. 59 zu“), haben ihr Analogon im letzten und vorletzten Satz des § 4 des kaiserlichen Patentes vom 4. März 1849 (,,Der Religionsunterricht in den Volksschulen wird von der betreffenden Kirche oder Religionsgesellschaft besorgt. Der Staat führt über das Unterrichts- und Erziehungs­wesen die Oberaufsicht“), wobei allerdings zu beachten ist, daß das Patent nur vom Religions­unterricht an Volksschulen und nur von einer Oberaufsicht, nicht auch Leitung hinsichtlich des Unterrichts- und Erziehungswesens spricht. Die erstere Bestimmung hatte einen Vor­läufer in einem Minderheitsvotum des Verfassungsausschusses von Kremsier zu § 19 („Den religiösen Unterricht in den Volksschulen überwachen die Religionsgesellschaften“) und der letztere Grundsatz macht sich einigermaßen ein anderes Minderheitsvotum des Kremsierer Verfassungsausschusses zu § 19 („Das gesamte Unterrichts- und Erziehungswesen steht unter Oberaufsicht des Staates und ist der Beaufsichtigung der Geistlichkeit als solcher entzogen“) zu eigen. Auch in diesem Punkt ließen sich die Abgeordneten von Kremsier vom selben oder ähnlichen Geist leiten wie die in Frankfurt; das dort beschlossene Gesetz, betreffend die Grundrechte, bestimmte in §23: „Das Unterrichts- und Erziehungswesen steht unter Ober­aufsicht des Staates und ist abgesehen vom Religionsunterricht der Beaufsichtigung der Geistlich­keit als solcher enthoben.“ Mit Artikel 18 („Es steht jedermann frei, seinen Beruf zu wählen und sich für denselben auszubilden, wie und wo er will“), der sich vollkommen mit § 28 des Gesetzes, betreffend die Grundrechte des deutschen Volkes, deckt, griff die Gesetzgebung von 1867 unmittelbar auf das Verfassungswerk der Paulskirche zurück. Artikel 19 Abs. 1 („Alle Volksstämme des Staates sind gleichberechtigt, jeder Volksstamm hat ein unverletzliches Recht auf Wahrung und Pflege seiner Nationalität und Sprache“) ist eine wörtliche Wiedergabe des § 5 der Märzverfassung von 1849 mit dem einzigen Unter­schied, daß dort die Worte „des Staates“ fehlten. Die Märzverfassung hat jene Bestimmung aus dem Kremsierer Entwurf übernommen, dessen § 21 lautete: „Alle Volksstämme des Reiches sind gleichberechtigt. Jeder Volksstamm hat ein unverletzliches Recht auf Wahrung und Pflege seiner Nationalität überhaupt und seiner Sprache insbesondere.“ Dasselbe hatte im wesent­lichen schon § 4 der Verfassung vom 25. April 1848 („Allen Volksstämmen ist die Unver­letzlichkeit ihrer Nationalität und Sprache gewährleistet“) in allerdings weniger glücklicher Fassung bestimmt. Artikel 19 Abs. 2 („Die Gleichberechtigung aller landesüblichen Sprachen in Schule, Amt und öffentlichem Leben wird vom Staate anerkannt“) deckt sich wörtlich mit § 21 Abs. 2 des Kremsierer Entwurfes, nur daß es dort „gewährleistet“ statt „anerkannt“ hieß x). Artikel 19 Abs. 3 („In den Ländern, in welchen mehrere Volksstämme wohnen, sollen die öffentlichen Unterrichtsanstalten derart eingerichtet sein, daß ohne Anwendung eines Zwanges zur Erlernung einer zweiten Landessprache jeder dieser Volksstämme die erforderlichen Mittel zur Ausbildung in seiner Sprache erhält“) erweist sich zwar in formeller Hinsicht als eine neue Bestimmung 1 2), doch hat schon § 4 erster Satz des kaiserlichen Patentes vom 4. März 1849 das Recht der nationalen Minderheiten in den einzelnen Ländern auf Berücksichtigung ihrer Sprache im Unterricht im Auge gehabt, wenn es verfügte: „Für allgemeine Volks­bildung soll durch öffentliche Anstalten, u. zw. in den Landesteilen, in denen eine gemischte Bevölkerung wohnt, derart gesorgt werden, daß auch die Volksstämme, welche die Minderheit ausmachen, die erforderlichen Mittel zur Pflege ihrer Sprache und zur Ausbildung in derselben erhalten.“ Der Verfassungsausschuß des Abgeordnetenhauses vom Jahre 1867 glaubte diesen 1) Über die im Verfassungsausschuß des Abgeordnetenhauses und in der Kommission des Herren­hauses gegen diesen heikelsten Punkt des ganzen Staatsgrundgesetzes vorgebrachten Bedenken siehe Kolmer G., a. a. O., I., S. 274. 2) Die Fassung geht auf einen Antrag des Abgeordneten Dr. Hanisch zurück. Der Antrag des Verfassungsausschusses hatte stilistisch weniger glücklich gelautet: „...daß ohne Anwendung eines Zwanges zur Erlernung einer zweiten Landessprache auch die Volksstämme, welche in der Minderheit sind, die erforderlichen Mittel dieser Ausbildung in ihrer Sprache erhalten“ (Stenographische Protokolle des Abgeordnetenhauses, IV. Session, 1. Bd., S. 815 bis 817).

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