Leo Santifaller: Ergänzungsband 2/2. Festschrift zur Feier des 200 jährigen Bestandes des HHStA 2 Bände (1951)
V. Rechts-, Verfassungs- und Wirtschaftsgeschichte - 52. Oswald Gschliesser (Innsbruck): Zur Geschichte der Grundrechte in der österreichischen Verfassung
58 Gschliesser, wörtlich dem § 2 des kaiserlichen Patentes vom 4. März 1849 entnommen, nur spricht letzteres nicht von einer selbständigen Verwaltung der inneren Angelegenheiten, sondern nur von Angelegenheiten schlechthin 1). Dieser § 2 erweist sich als eine erweiterte Fassung des Minderheitsvotums des Kremsierer Verfassungsausschusses zu § 15 („Jede Religions- gesellschaft (Kirche) ordnet und verwaltet ihre Angelegenheiten selbständig, bleibt aber wie jede andere Gesellschaft im Staate den Staatsgesetzen unterworfen11). Fast gleichlautend hatte das Gesetz, betreffend die Grundrechte des deutschen Volkes, im § 17 Abs. 1 bestimmt: „Jede Religionsgesellschaft ordnet und verwaltet ihre Angelegenheiten selbständig, bleibt aber den allgemeinen Staatsgesetzen unterworfen.“ Die Freiheit der Kirche in bezug auf die Verwaltung ihrer inneren Angelegenheiten hatte bereits titre 16 der belgischen Verfassung („L’Etat ria pas le droit d’intervenir ni dans la nomination ni dans Vinstallation des ministres d’un culte quelconque, ni de défendre ä ceux-ci de corresponds avec leurs supérieurs, et de publier leurs actes, sauf, en ce dernier cas, la responsabilité ordinaire en matiere de presse et de publication“) im Prinzip ausgesprochen. Für Artikel 16 („Den Anhängern eines gesetzlich nicht anerkannten Religionsbekenntnisses ist die häusliche Religionsübung gestattet, insoferne dieselbe weder rechtswidrig noch sittenverletzend ist“) findet sich kein formales Vorbild in einer der sonst hier zum Vergleiche herangezogenen Verfassungen, doch war der Grundsatz, daß den Anhängern eines jeden Religionsbekenntnisses, mag es auch nicht staatlich anerkannt sein, die häusliche Religionsübung gestattet sei, bereits in dem oben bei Artikel 14 Abs. 1 und 2 zitierten § 1 des kaiserlichen Patentes vom 4. März 1849 ausgesprochen 2). Artikel 17 Abs. 1 („Die Wissenschaft und ihre Lehre ist frei“) deckt sich wörtlich mit § 3 erster Satz des vorerwähnten kaiserlichen Patentes, mit § 18 erster Satz des Kremsierer Entwurfes und mit § 22 des Gesetzes, betreffend die Grundrechte des deutschen Volkes. Alle diese gleichlautenden Bestimmungen haben im titre 17 erster Satz der belgischen Verfassung („Uenseignement est libre“) ihr Urbild. Die im § 18 des Kremsierer Verfassungsentwurfes weiter vorkommende Bestimmung: „Jede vorgreifende Maßregel gegen die Lehrfreiheit ist untersagt, die Unterdrückung des Mißbrauches wird durch das Gesetz geregelt“ ist eine wörtliche Übersetzung des zweiten und dritten Satzes des titre 17 der belgischen Verfassung („Toute mesure preventive est interdite; la repression des délits riest reglée que par la loi“). Artikel 17 Abs. 2 („Unterrichts- und Erziehungsanstalten zu gründen und an solchen Unterricht zu erteilen, ist jeder Staatsbürger berechtigt, der seine Befähigung hiezu in gesetzlicher Weise nachgewiesen hat“) und Abs. 3 („Der häusliche Unterricht unterliegt keiner solchen Beschränkung“) sind wörtlich dem §3 des kaiserlichen Patentes vom 4. März 1849 entnommen. Dieser wiederum hat sich des § 19 des Kremsierer Entwurfes („Unterrichts- und Erziehungsanstalten zu gründen und an solchen Unterricht zu erteilen, steht jedem Staatsbürger frei, wenn er seine sittliche, wissenschaftliche und technische Befähigung der kompetenten Behörde nachgewiesen hat“), bzw. des nahezu gleichlautenden Vorschlages des Verfassungsausschusses der Frankfurter Nationalversammlung zur zweiten Lesung der Grundrechte 3) als Muster bedient. Artikel 17 Abs. 4 („Für den Religionsunterricht in den Schulen ist von der betreffenden Kirche oder Religionsgesellschaft Sorge zu tragen“) und Abs. 5 („Dem Staate steht rücksichtlich des gesamten Unterrichts- und Erziehungswesens das Recht der obersten Leitung und Aufsicht *) Der Satz: ,,... bleibt im Besitze und Genüsse ihrer für Kultus-, Unterrichts- und Wohltätigkeits- zwecke bestimmten Anstalten, Stiftungen und Fonds“ wurde erst auf Grund des Antrages der Kommission des Herrenhauses eingefügt. Das Abgeordnetenhaus hatte diesen schon im § 2 des kaiserlichen Patentes von 1849 vorkommenden Satz im Hinblick auf Artikel 5 für überflüssig und bedenklich gehalten (Stenographische Protokolle des Herrenhauses, IV. Session, 1. Bd., S. 284). 2) Der Antrag des Abgeordnetenhauses sprach von „gemeinsamer“ häuslicher Religionsübung; das Herrenhaus beschloß, das Wort „gemeinsam“, weil irreführend und überflüssig, wegzulassen (ebenda, S. 284f.). 3) Siehe Bergsträsser, a. a. O., S. 82.