Leo Santifaller: Ergänzungsband 2/2. Festschrift zur Feier des 200 jährigen Bestandes des HHStA 2 Bände (1951)
V. Rechts-, Verfassungs- und Wirtschaftsgeschichte - 52. Oswald Gschliesser (Innsbruck): Zur Geschichte der Grundrechte in der österreichischen Verfassung
Zur Geschichte der Grundrechte in der österreichischen Verfassung. 57 Hemmungen des freien Verkehres beschränkt, suspendiert oder aufgehoben werden“ darf. Auch hier hat also wieder offenkundig das Werk der deutschen Nationalversammlung in Frankfurt auf das des Verfassungsausschusses in Kremsier abgefärbt. Die Freiheit der Meinungsäußerung hat sich bereits im Katalog der Menschen- und Bürgerrechte, wie ihn die verfassunggebende französische Nationalversammlung am 27. August 1789 aufgestellt hat, gefunden, allerdings mit dem einschränkenden Zusatz, daß man sich über den Mißbrauch dieser Freiheit in den vom Gesetz vorgesehenen Fällen zu verantworten habe. Artikel 14 Abs. 1 und 2 (,,Die volle Glaubens- und Gewissensfreiheit ist jedermann gewährleistet. Der Genuß der bürgerlichen und politischen Rechte ist vom Religionsbekenntnisse unabhängig ; doch darf den staatsbürgerlichen Pflichten durch das Religionsbekenntnis kein Abbruch geschehen“) erweist sich vom § 1 des kaiserlichen Patentes vom 4. März 1849 (,,Die volle Glaubensfreiheit und das Recht der häuslichen Religionsübung ist jedermann gewährleistet. Der Genuß der bürgerlichen und politischen Rechte ist von dem Religionsbekenntnisse unabhängig, doch darf den staatsbürgerlichen Pflichten durch das Religionsbekenntnis kein Abbruch geschehen“) abhängig. Der Verfassungsausschuß des Kremsierer Reichstages hatte im § 13 für dieses Grundrecht die Fassung gewählt: ,,Jedem Staatsbürger ist die Freiheit des Glaubens und der öffentlichen Religionsübung gewährleistet. Verbrechen und Vergehen, welche bei Ausübung dieser Freiheit begangen werden, sind nach dem Gesetze zu bestrafen.“ Dabei haben sowohl dem kaiserlichen Patent wie dem Kremsierer Entwurf anscheinend das Gesetz, betreffend die Grundrechte des deutschen Volkes, u. zw. § 14 Abs. 1: ,,Jeder Deutsche hat volle Glaubensund Gewissensfreiheit“, § 15: ,,Jeder Deutsche ist unbeschränkt in der gemeinsamen, häuslichen und öffentlichen Übung seiner Religion. Verbrechen und Vergehen, welche bei Ausübung dieser Freiheit begangen werden, sind nach dem Gesetze zu bestrafen“, § 16: ,,Durch das religiöse Bekenntnis wird der Genuß der bürgerlichen und staatsbürgerlichen Rechte weder bedingt noch beschränkt. Den staatsbürgerlichen Pflichten darf dasselbe keinen Abbruch tun“, ferner der oben zitierte titre 14 der belgischen Verfassung als Vorlage gedient. Der Grundsatz der vollen Glaubens- und Gewissensfreiheit stand aber auch schon an der Spitze der Grundrechte der Pillersdorfschen Verfassung. Artikel 14 Abs. 3 (,,Niemand kann zu einer kirchlichen Handlung oder zur Teilnahme an einer kirchlichen Feier gezwungen werden, insoferne er nicht der nach dem Gesetz hiezu berechtigten Gewalt eines andern untersteht“) findet sich, worauf auch der Berichterstatter in der Sitzung des Abgeordnetenhauses am 9. Oktober 1867 aufmerksam gemacht hat 1), abgesehen vom Nebensatze nahezu wörtlich im § 18 des Gesetzes, betreffend die Grundrechte des deutschen Volkes („Niemand soll zu einer kirchlichen Handlung oder Feierlichkeit gezwungen werden“) und von dort hat ihn offenbar auch die Mehrheit des Verfassungsausschusses in Kremsier übernommen, wenn sie dem § 14 Abs. 2 die Fassung gegeben wissen wollte: ,,Niemand kann zu religiösen Handlungen und Feierlichkeiten überhaupt oder insbesondere zu den Verpflichtungen eines Kultus, zu welchem er sich nicht bekennt, vom Staate gezwungen werden.“ Die belgische Verfassung ist mit ihrem oben zitierten titre 15 auch in diesem Punkte Richtung gebend gewesen. Der Nebensatz in Artikel 14 Abs. 3 ,,insoferne er nicht .. .“ wurde über Vorschlag der zur Beratung über den Entwurf des Staatsgrundgesetzes eingesetzten Kommission des Herrenhauses beigefügt2). Artikel 15 („Jede gesetzlich anerkannte Kirche und Religionsgesellschaft hat das Recht der gemeinsamen öffentlichen Religionsübung, ordnet und verwaltet ihre inneren Angelegenheiten selbständig, bleibt im Genüsse ihrer für Kultus-, Unterrichts- und Wohltätigkeitszwecke bestimmten Anstalten, Stiftungen und Fonds, ist aber, wie jede Gesellschaft, den allgemeinen Staatsgesetzen unterworfen“) ist, worauf der Berichterstatter im Abgeordnetenhaus Dr. Sturm hin wies 3), *) Stenographische Protokolle des Abgeordnetenhauses, IV. Session, 1. Bd., S. 808. 2) Stenographische Protokolle des Herrenhauses, IV. Session, 1. Bd., S. 284. 3) Stenographische Protokolle des Abgeordnetenhauses, IV. Session, 1. Bd., S. 813.