Leo Santifaller: Ergänzungsband 2/2. Festschrift zur Feier des 200 jährigen Bestandes des HHStA 2 Bände (1951)
V. Rechts-, Verfassungs- und Wirtschaftsgeschichte - 52. Oswald Gschliesser (Innsbruck): Zur Geschichte der Grundrechte in der österreichischen Verfassung
Zur Geschichte der Grundrechte in der österreichischen Verfassung. 51 Artikeln 4 Abs. 2, 6 Abs. 1, 8 Abs. 3, und 16 1). Das Abgeordnetenhaus ist in seiner Sitzung vom 7. Dezember allen Abänderungsvorschlägen des Herrenhauses, ausgenommen den den Artikel 10 betreffenden, beigetreten 2) und erlangte das Staatsgrundgesetz über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger in der von den beiden Häusern des Reichsrates beschlossenen Fassung dann am 21. Dezember 1867 zusammen mit den fünf anderen Staatsgrundgesetzen die Sanktion des Kaisers. Die Gesetzgeber von 1867 haben bei der Fixierung der Grundrechte nur zum geringsten Teil aus eigenem geschöpft. Sie haben aus der oktroyierten Reichsverfassung für das Kaisertum Österreich vom 4. März 1849 und dem gleichzeitig für die Kronländer erlassenen kaiserlichen Patent, RGBl. Nr. 151, über die durch die konstitutionelle Staatsform gewährleisteten politischen Rechte, das ihnen passend Erscheinende ausgewählt und durch Zusätze, entnommen zumeist den Entwürfen des Wiener, bzw. Kremsierer Reichstages und dem von der deutschen Nationalversammlung in Frankfurt a. M. beschlossenen Gesetz, betreffend die Grundrechte des deutschen Volkes 3), ja auch der belgischen Verfassung von 1831, ergänzt. Dabei haben sie Unklarheiten und stilistische Unebenheiten an mancher Stelle beseitigt, Entbehrliches weggelassen, das eine oder das andere hinzugefügt und alle Artikel zu einem relativ geschlossenen Ganzen verbunden, das so immerhin wie aus einem Gusse herrührend wirkt und sich jedenfalls im allgemeinen bis auf den heutigen Tag bewährt hat. Im folgenden soll nun versucht werden, bei jedem einzelnen Artikel des Staatsgrundgesetzes über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger vom 21. Dezember 1867, RGBl. Nr. 142, aufzuzeigen, auf welche Bestimmungen als Vorbilder es zurückgeht und wie letztere voneinander abhängig sind 4). Artikel 1 („Für alle Angehörigen der im Reichsrate vertretenen Königreiche und Länder besteht ein allgemeines österreichisches Staatsbürgerrecht. Das Gesetz bestimmt, unter welchen Bedingungen das österreichische Staatsbürgerrecht erworben, ausgeübt und verloren wird“) stellt nur eine durch die geänderten staatsrechtlichen Verhältnisse bedingte Modifikation des § 23 der März Verfassung dar („Für alle Völker des Reiches gibt es nur ein allgemeines österreichisches Reichsbürgerrecht. Ein Reichsgesetz wird bestimmen, unter welchen Bedingungen das österreichische Reichsbürgerrecht erworben, ausgeübt und verloren wird“). Der zweite Satz des § 23 der März Verfassung aber ist beeinflußt vom zweiten Satz des § 2 des Kremsierer Entwurfes („Die Konstitution und das Gesetz bestimmen, unter welchen Bedingungen die Eigenschaft eines österreichischen Staatsbürgers und die staatsbürgerlichen Rechte erworben, ausgeübt und verloren werden“). Und letztere Bestimmung entlehnt wiederum Wendungen dem titre 4 der belgischen Verfassung von 1831 („La qualité de Beige s’acquiert, se conserve et se perd d’apres les régies déterminées par la loi civile“). Die Bestimmung des Artikels 2 („Vor dem Gesetze sind alle Staatsbürger gleich“) findet sich ganz gleichlautend im § 27 der März Verfassung („Alle österreichischen Reichsbürger 1) Ebenda, S. 268 ff. 2) Stenographische Protokolle über die Sitzungen des Abgeordnetenhauses 1867—1869, IV. Session, 2. Bd., S. 1598 ff. 3) Diese erscheinen dann in der am 28. März 1849 in der Paulskirche endgültig festgestellten Verfassung des Deutschen Reiches eingebaut. 4) Bezüglich der Texte der Verfassungen vom 25. April 1848 und vom 4. März 1849 (oktroyierte März Verfassung) sowie des gleichzeitig erlassenen kaiserlichen Patentes über die durch die konstitutionelle Staatsform gewährleisteten politischen Rechte, ferner des Kremsierer Entwurfes der Grundrechte des österreichischen Volkes, endlich des Staatsgrundgesetzes selbst, siehe Bernatzik Edm., Die österr. Verfassungsgesetze mit Erläuterungen, 2. Auf!., Wien 1911 (in Studienausgabe österr. Gesetze, III. Bd.); bezüglich des Textes des Kremsierer Entwurfes und des Textes der vom Reichstag in Kremsier bei der 2. Vollberatung beschlossenen Grundrechte siehe auch Fischel, a. a. O., Anhang; bezüglich des Textes des Gesetzes, betreffend die Grundrechte des deutschen Volkes, das Reichsgesetzblatt, 8. Stück, hrsg. in Frankfurt, 28. Dezember 1848, S. 49 ff., und Bergsträsser L., Die Verfassung des deutschen Reiches vom Jahre 1849, Bonn 1913.