Leo Santifaller: Ergänzungsband 2/2. Festschrift zur Feier des 200 jährigen Bestandes des HHStA 2 Bände (1951)
V. Rechts-, Verfassungs- und Wirtschaftsgeschichte - 52. Oswald Gschliesser (Innsbruck): Zur Geschichte der Grundrechte in der österreichischen Verfassung
50 Gschliesser, Staatsform gewährleisteten politischen Rechte haben gerade, was die Grundrechte anlangt, die Beschlüsse des Kremsierer Reichstages und seines Verfassungsausschusses sowie die bei dessen Beratungen gestellten Minderheitsanträge in vielen Punkten verwertet x). Nachdem im Frühjahr 1867 der Ausgleich zwischen der Krone und Ungarn zustande gekommen war und die Einführung der konstitutionellen Monarchie nunmehr auch in Österreich keinen längeren Aufschub mehr erlaubte, forderte die Adresse des am 22. Mai 1867 eröffneten Abgeordnetenhauses des österreichischen Reichsrates u. a. auch Festlegung der politischen Rechte der Staatsbürger* 2). Der rührige Verfassungsausschuß des Abgeordnetenhauses legte diesem dann auch den Entwurf eines Staatsgrundgesetzes über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger vor; er hatte sich damit unter dem Vorsitz des ehemaligen Justiz ministers Adolf Freiherrn v. Pratobevera in den Sitzungen vom 21. und 23. September 1867 beschäftigt3). Der der deutschliberalen Partei angehörende Abgeordnete Dr. Sturm bemerkte als Berichterstatter bei der über diesen Entwurf am 8. Oktober durchgeführten ersten Lesung vor Eröffnung der Generaldebatte, daß die allgemeinen Rechte der Staatsbürger, wie sie der vorliegende Entwurf in Übereinstimmung mit den meisten europäischen Verfassungen enthalte, mit sehr wenigen und geringen Ausnahmen den Völkern Österreichs schon in der oktroyierten Verfassungsurkunde vom 4. März 1849 verliehen worden seien; nur einige neue Bestimmungen, wie z. B. Artikel 4 Abs. 2 erschienen im Hinblick auf die gegenwärtigen staatsrechtlichen Verhältnisse und die nationale Gestaltung der im Reichsrate vertretenen Königreiche und Länder wünschenswert 4). Am nächsten Tage wurden im Abgeordnetenhaus die zweite Lesung und die Spezialdebatte durchgeführt. Anlaß zu Debatten boten lediglich die Artikel 4 Abs. 2, 14 Abs. 3, 15, 16 und 19 Abs. 3. Nur die Artikel 4 Abs. 2, und 19 Abs. 3 erfuhren auf Grund der Wechselreden unwesentliche Änderungen gegenüber der vom Verfassungsausschuß beantragten Fassung 5). In dritter Lesung wurde das Staatsgrundgesetz am 16. Oktober ohne Debatte mit Stimmenmehrheit angenommen, worauf es dem Herrenhaus zur weiteren Behandlung übermittelt wurde 6). Bei der ersten Lesung im Herrenhaus am 30. Oktober wurde der aus der Initiative des Abgeordnetenhauses hervorgegangene Gesetzesantrag einer Kommission zur Vorberatung überwiesen 7). Diese schlug, nachdem sie in fünf in der ersten Hälfte des November unter dem Vorsitz des Kardinals Othmar v. Rauscher abgehaltenen Sitzungen den Entwurf mit einigen Änderungen angenommen hatte 8), bei der am 28. November durchgeführten zweiten Lesung und Spezialdebatte durch den Berichterstatter Dr. Leopold Ritter v. Hasner, den späteren Ministerpräsidenten, nicht sehr einschneidende Änderungen der Artikel 3 Abs. 2, 4 Abs. 2, 8 Abs. 3, 10, 13, 14 Abs. 3, 15, 17 und 19 vor, die mit Ausnahme des Antrages auf Weglassung der Bestimmung des Artikels 4 Abs. 2, für dessen Beibehaltung sich dann das Plenum des Herrenhauses entschied, von diesem, u. zw. in den meisten Fällen ohne Debatte, angenommen wurden. Eine solche ergab sich nur zu den x) Bei dem im Wiener Staatsarchiv, Abt. Archiv des Innern und der Justiz, erliegenden Nachlaß des Ministers A. v. Bach findet sich unter den Verfassungsprojekten und Entwürfen das ursprüngliche Konzept des kaiserlichen Patentes vom 4. März 1849, RGBl. Nr. 151, über die durch die konstitutionelle Staatsform gewährleisteten politischen Rechte, mit den in diesem berücksichtigten Korrekturen. 2) Abgedruckt bei Kolmer G., Parlament und Verfassung in Österreich, I., Wien 1902, S. 262. 3) Protokolle des Ausschusses des Abgeordnetenhauses von 1867 im Parlamentsarchiv in Wien. 4) Stenographische Protokolle über die Sitzungen des Hauses der Abgeordneten des Reichsrates (1867 bis 1869), IV. Session, 1. Bd., Wien 1869, S. 779. 5) Ebenda, S. 801 ff. 6) Ebenda, S. 985. 7) Stenographische Protokolle über die Sitzungen des Herrenhauses des Reichsrates, IV. Session (1867 bis 1869), 1. Bd., Wien 1869, S. 212. 8) Protokolle der Kommission des Herrenhauses von 1867 im Wiener Parlamentsarchiv. — In den Sitzungen der Kommission hatte namentlich das Verhältnis der Bestimmungen der Grundrechte zu jenen des Konkordates von 1855 Gegenstand von Erörterungen gebildet.