Leo Santifaller: Ergänzungsband 2/2. Festschrift zur Feier des 200 jährigen Bestandes des HHStA 2 Bände (1951)
V. Rechts-, Verfassungs- und Wirtschaftsgeschichte - 52. Oswald Gschliesser (Innsbruck): Zur Geschichte der Grundrechte in der österreichischen Verfassung
46 Gschliesser, Erwerbszweigen, zu allen Ämtern und Würden, gesicherter Gerichtsstand, Gleichstellung vor allen Gesetzen“; den einzelnen religiösen Bekenntnissen sicherten die Grundlinien zu: „Freie Ausübung des Gottesdienstes für die christlichen und den israelitischen Kultus, freier Übertritt, freie Wahl der Vorsteher für die nichtkatholischen Kulte, freie Änderung ihrer Liturgie, Disziplinarvorschriften und religiösen Einrichtungen“. Unter dem Titel „Rechtsinstitute“ sahen die Grundlinien vor: „Gleicher Gerichtsstand für alle Staatsbürger, Ausschaltung der Patrimonialgerichte, Einführung der Schwurgerichte, öffentliches, mündliches und akkusatorisches Gerichtsverfahren“. Wie Freiherr v. Piliersdorf in seinem Vortrag an den Kaiser vom 15. April, mit welchem er die neue Verfassung zur Sanktion vorlegte, ausgeführt hat, hatte man keine Rücksicht genommen auf die großen Unterschhiede, die in bezug auf Kultur und Bildung zwischen den einzelnen Volksstämmen der Monarchie bestanden, sondern hatte es sich zum Grundsatz gemacht, „daß alle diejenigen Freiheiten, welche mit den monarchischen Einrichtungen verträglich und sich als solche im monarchischen Staat bewährt haben, zugleich aber bei den jetzt vorherrschenden Ideen und Gesinnungen als ein unabweisbares Bedürfnis anerkannt werden, in die Verfassungsurkunde aufgenommen werden sollen“. Daß man dabei tatsächlich den liberalen Forderungen von damals Rechnung zu tragen gewillt war, beweist der schon in den Grundlinien enthaltene Katalog der Freiheitsrechte. Am 16. und 17. April beriet der Ministerrat über die zu oktroyierende Verfassung, wobei zu deren Grundzügen mehrere Amendements eingebracht wurden. Piliersdorf behielt sich die endgültige Stellungnahme vor und legte am 18. dem Ministerrrat einen aus 27 Paragraphen bestehenden Entwurf vor, der etliche der angeregten Abänderungen berücksichtigte und einige neue Bestimmungen enthielt. Am 19. setzte der Ministerrat in Abwesenheit Piliersdorfs, dem in der Sitzung am Vortage übel geworden war, die Beratungen fort, stellte aber, um rascher zu einer Einigung zu gelangen, alle nebensächlich erscheinenden Abänderungsvorschläge zurück. So wurde der von Piliersdorf vorgelegte Verfassungsentwurf mit einigen geringfügigen, nur die Formulierung, nicht die Sache selbst betreffenden Änderungen von den Teilnehmern an dieser Sitzung des Ministerrates angenommen; bloß zu § 18 wurde der Zusatz beschlossen: „Hausdurchsuchungen dürfen nur in den Fällen und in der Form, welche das Gesetz voraus bezeichnet, vorgenommen werden“. Von allerhöchster Seite wurde in der Folge noch eine Modifikation des § 31 gewünscht. Diese Bestimmung hatte im ursprünglichen Entwurf (§ 42) gelautet: „Allen christlichen Glaubensbekenntnissen und dem israelitischen Cultus ist die freie Ausübung des Gottesdienstes gestattet“. Dem Wunsche des Monarchen entsprechend, beschloß nun der Ministerrat in der Sitzung vom 22. April diese Bestimmung wie folgt zu fassen: „Allen in der Monarchie durch die Gesetze anerkannten Glaubensbekenntnissen und dem israelitischen Kultus ist die freie Ausübung des Gottesdienstes gestattet.“ So hatte schließlich der Abschnitt „Staatsbürgerliche und politische Rechte der Staatseinwohner“ in der Verfassungsurkunde, wie sie dann vom Kaiser am 23. April genehmigt und am 25. April in der „Wiener Zeitung“ verlautbart wurde, nachstehende Fassung, wobei die Gegenüberstellung mit den entsprechenden Bestimmungen der belgischen Verfassung von 1831 x), als deren Nachbildung Piliersdorf die Verfassung vom 25. April zum größten Teile bezeichnete * 2), gleichzeitig zeigen soll, inwieweit diese der Pillersdorfschen Verfassung zum Vorbild gedient hat: J) Abgedruckt bei Errera Paul, Das Staatsrecht des Königreichs Belgien, erschienen in der Slg. „Das öffentliche Recht der Gegenwart“, Bd. VII, Tübingen 1909 (Anhang). 2) F. v. P. (Piliersdorf), Rückblicke auf die politische Bewegung in Österreich in den Jahren 1848 und 1849, Wien 1849, S. 36.