Leo Santifaller: Ergänzungsband 2/2. Festschrift zur Feier des 200 jährigen Bestandes des HHStA 2 Bände (1951)
VII. Allgemeine und österreichische Geschichte. - 72. Hans Lentze (Innsbruck): Joseph von Spergs und der Josephinismus
392 Joseph von Spergs und der Josephinismus. Von Hans Lentze (Innsbruck). Spergs in der Literatur. Unter den ersten Beamten des Hans-, Hof- und Staatsarchivs ragt Joseph von Spergs hervor, eine Persönlichkeit von geistigem Format, Historiker, Verwaltungsbeamter und Künstler zugleich x). Zu seiner Zeit genoß er ein überragendes Ansehen, von dem die zahlreichen Biographien und Nachrufe Zeugnis ablegen * 2). Hormayr hat ihn der Aufnahme in seinen österreichischen Plutarch für Wert erachtet 3). In der modernen Literatur wird er nur gelegentlich als Mitglied der josephinischen Führungsschicht erwähnt, z. B. von Valsecchi 4). So konnte Wurzbach5) mit einem gewissen Recht feststellen: ,,Sperges ist wieder eine unserer edelsten österreichischen, nur zu bald vergessenen Persönlichkeiten.“ Spergs hat dieses Schicksal nicht verdient, es würde sogar eine lohnende Aufgabe sein, sein reiches Leben in einer den modernen wissenschaftlichen Ansprüchen entsprechenden Biographie zu schildern. Seinen Werdegang vom kleinen Beamten in der Provinz bis zu einflußreichen Stellungen in der Zentrale legt die ausführliche Biographie von Dipauli dar 6), die sehr solid gearbeitet ist und auch die einschlägigen Personalakten verwertet hat 7). Dipauli hatte natürlich noch nicht den nötigen Abstand, um eine wirklich kritische Biographie geben zu können, er mußte sich damit begnügen, den Lebensgang darzustellen. Das, was uns heute besonders interessieren würde, Spergs’ Weltanschauung, seine Einstellung zu den Problemen seiner Zeit, tritt nicht deutlich hervor. Spergs’ Wertung in den Augen der Nachwelt ist im wesentlichen dadurch bestimmt worden, daß er Aufnahme in die „Österreichische Biedermannskronik“ des Literaten Rautenstrauch gefunden hat 8). Hier werden die Förderer der Aufklärungspartei als „Biedermänner“, ihre Gegner als „Schwachköpfe und Fanatiker“ bezeichnet. Alle in der Biedermanns-Chronik aufgeführten höheren Staatsbeamten sind dann in der Literatur, etwa von Beidtel 9), vorzugsweise zu den Beförderern der Aufklärung gezählt worden. Die BiederJ) (Dipauli), Neue Zeitschrift des Ferdinandeums für Tirol und Vorarlberg, Bd. III, 1837, S. 1—57; Wurzbach, Biographisches Lexikon des Kaiserthums Österreich, Bd. 36, S. 138—141; Hüter, Artikel Spergs, Gesamtinventar des Wiener Haus-, Hof- und Staatsarchivs, In ventare österreichischer staatlicher Archive, Bd. V/4, Wien 1936, S. 140 f.; Krones, A. D. B., Bd. 35, S. 135 f.; Thieme-Becker, Allgemeines Lexikon der bildenden Künstler, hrsg. von H. Vollmar, Bd. 32, Leipzig 1938, S. 361. 2) Verzeichnet in den in Anm. 1 angeführten modernen Biographien. Her/orgehoben seien: Cremes in Jos. Spergesii Palentini centuria litterarum ad Italos, Wien 1793, S. Ill ff.; Luca J. de, Das gelehrte Österreich, Bd. 1/2, Wien 1778, S. 183 ff.; Wittola, Neueste Beiträge zur Religionslehre und Kirchengeschichte, 2. Jg. 1791, S. 837 ff.; Hormayr, Tiroler Almanach für 1805, S. 175 ff.; Derselbe, Nationalkalender für Tirol und Vorarlberg auf das gemeine Jahr 1821, S. 20 ff.; Lemmen, Tirolisches Künstler- Lexikon, Innsbruck 1830, S. 236 ff. 3) Bd. XVI, S. 157. 4) L’assolutismo illuminato in Austria e in Lombardia, Bd. I, Bologna 1931, S. 103. 5) A. a. O., S. 141. 6) A. a. O., S. 1 ff. 7) Dipauli, a. a. O., S. 2 und 45. 8) Freiheitsburg bei den Gebrüdern van Redlich 1784, S. 188 ff.; vgl. über diese Brunner Sebastian, Die Mysterien der Aufklärung in Österreich, Mainz 1869, S. 40 ff. 9) Geschichte der österreichischen Staatsverwaltung 1740 bis 1848, hrsg. von A. Huber, Bd. I, Innsbruck 1896, S. 212 ff. Vgl. auch Valsecchi, a. a. O., S. 103.