Leo Santifaller: Ergänzungsband 2/2. Festschrift zur Feier des 200 jährigen Bestandes des HHStA 2 Bände (1951)
VII. Allgemeine und österreichische Geschichte. - 71. Heinrich Benedikt (Wien): Der österreichische Staatsvertrag mit Neapel von 1759
Der österreichische Staatsvertrag mit Neapel von 1759. 381 Der Turiner Hof ließ durch seinen Gesandten Conte Caissotti di Rubione vor einem angeblichen Geheimartikel des Versailler Vertrags warnen, in welchem sich Maria Theresia die Rückerwerbung der seit Beginn des Jahrhunderts an Sardinien abgetretenen Gebiete und des Königreichs beider Sizilien ausbedungen habe. Friedrich der Große suchte mit ähnlichen Vorstellungen eine italienische Liga gegen die Kaiserin zustande zu bringen. Tanucci antwortete dem sardinischen Gesandten, Karl habe nichts von Österreich zu befürchten, da Neapel nicht entrissen, sondern durch Tausch erworben wurde. Diese Begründung zeigt eine beachtenswerte Veränderung in der staatsrechtlichen Theorie von der Erwerbung Neapels und ein Abgehen von der früher dem König durch den Duca di Salas eingeimpften Auffassung, daß er sein Reich mit dem Recht des Eroberers besitze x). Karl und Amalia fürchteten sich nur vor Turin und bedauerten, daß Maria Theresia Truppen aus der Lombardei nach Böhmen zog. ,,Der König von Sardinien scheine ihnen immer der König von Preußen Italiens zu sein.“ * 2) Als die Nachricht von der Katastrophe von Pirna3) in Neapel eintraf, weinte die Königin den ganzen Tag und der König länger als eine Viertelstunde 4). Am 15. September 1756 erging eine wichtige Weisung an den kaiserlichen Botschafter. Die Kaiserin beauftragte ihn, da „unserem ältesten Sohn unter den katholischen Prinzessinnen keine große Auswahl übrig bleibt“, eine „zuverlässige Erklärung“ abzugeben, „daß wir zu einer Vermählungsabrede zwischen unserm ältesten Sohn und der ältesten neapolitanischen Prinzessin zu stiften allerdings entschlossen seien“. Was die Verlobung des Erzherzogs Karl betreffe, könne dem Wunsche nach der Errichtung einer Secundogenitur mit Rücksicht auf die Hausverfassung und die Sanctio Pragmatica nicht entsprochen werden, doch sei die Kaiserin zu einer vertraulichen Abrede bereit, für den Fall, daß Joseph vor der Vermählung sterbe, den nachrückenden Erzherzog auch als Bräutigam folgen zu lassen. Dem Herzog von Parma wolle Maria Theresia einen vollwertigen Ersatz für die Erbfolge in Neapel bieten, doch könne sie dafür erst nach der Rückeroberung des Herzogtums Schlesien und der Grafschaft Glatz eine Garantie übernehmen. Da eine Regelung der Sukzession in Neapel nur im Einverständnis mit Frankreich möglich sei, wären nur die Heiraten und das Rückfallsrecht zur Verhandlung reif. Als Äquivalent verlangte die Kaiserin den ganzen Stato de’ Presidi und den Verzicht auf die farnesischen und mediceischen Allodien 5). Das Zeremoniell des Neapler Hofes war nicht so einfach wie in Schönbrunn, wo Marchese de Maio, sooft Karl III. es wünschte, eine Unterredung mit der Kaiserin unter vier Augen haben konnte. Es brauchte Zeit, um eine geheime Audienz zu ermöglichen, die auch infolge einer Erkrankung Firmians um einen Monat verschoben wurde. Der Botschafter überreichte die „Stillschweigeverheißung“ der Kaiserin und nahm die des Königs entgegen, der sich entschuldigte, daß sie von außen nicht allzu rein sei, da er sie seit dem 15. Oktober ständig bei sich trug. Kaunitz hatte Firmian eingeschärft, daß es „bei so häcklichsten und verwickelten Umständen“ am sichersten sei, „auf die simpelste und natürlichste Art zu Werk zu gehen“. In dieser Audienz erhielt Karl das Wort der Kaiserin zur Vermählung des Kronprinzen Joseph mit seiner ältesten Tochter. In seiner Antwort bot er der Kaiserin auch seine Freundschaft als künftiger König von Spanien an, „daß die Zeiten der Kaiser Ferdinanden und Leopoldi sich wiederum erneuern, da zu Wien und Madrid nur ein Sinn das Staatsruder führte“ — und ließ Tanucci den Preis für das Rückfallsrecht herab- drücken. x) B. 6. Juli 1756. 2) B. 21. September 1756. a) Wertvolle Berichte vom Dresdener Hof als Beilage zu B. 26. Oktober 1756. 4) Über die Liebesgaben an den sächsischen Hof und die Haltung Friedrichs des Großen, B. 25. Mai 1756, 7. Juni, 5. Juli 1757. 5) W. 15. September 1756.