Leo Santifaller: Ergänzungsband 2/2. Festschrift zur Feier des 200 jährigen Bestandes des HHStA 2 Bände (1951)
V. Rechts-, Verfassungs- und Wirtschaftsgeschichte - 50. Hermann Balti (Graz): Beiträge zur Geschichte der steirischen und österreichischen Strafrechtskodifikationen im 15. und 16. Jahrhundert
Geschichte der steirischen und österreichischen Strafrechtskodifikationen im 15. und 16. Jahrhundert. I. Sowohl in der steirischen als in der kärntnerischen Ordnung finden sich nun Formulierungen (in Titel, Einleitung und Beschluß), die auf früher vorhandene Kodifikationen für diese Länder hinzudeuten scheinen, ohne das bisher darüber etwas Sicheres bekannt war. Da sich jetzt bei der Untersuchung der Geschichte der Kärntner Landgerichtsordnung von 1577 aus Akten des Staatsarchivs ergab, daß dort bereits 1550 eine Landgerichtsordnung vorhanden war, könnte erneut die Frage aufgeworfen werden, ob ähnliches nicht auch für das steirische Nachbarland zutrifft. Gestützt auf die erwähnten textlichen Hinweise hat schon Hoegel in seiner kursorischen Zusammenstellung österreichischer Strafrechtsgesetze des 16. Jahrhunderts eine dahingehende Annahme aufgestellt J). Von anderen Autoren, die die Landgerichtsordnung von 1574 erwähnen, wurde zu dieser Möglichkeit nicht Stellung genommen2), so daß nur Byloff, der die Gründe für das Bestehen einer Landgerichtsordnung vor 1574 kritisch untersucht hat, hier in Betracht kommt. Bei den eben erwähnten Formulierungen, die auf eine frühere Landgerichtsordnung hinzuweisen scheinen, handelt es sich besonders um den Gebrauch der Worte „verbessert“, „reformiert“ u. ä. Die Ordnung der Land- und Malefizgerichte sei eine Zeitlang nicht gleichmäßig, sondern in Verwirrung gewesen. Im eigentlichen Text des Gesetzes finden sich keinerlei Hinweise, aus denen ein solcher Schluß gezogen werden könnte. Diese Wendungen aber sind zu unbestimmt, um ernstlich aus ihnen das Bestehen einer Ordnung vor 1574 ableiten zu wollen; das Wort „reformiert“ z. B. kann leicht nicht auf eine bestandene Kodifikation, sondern ganz allgemein auf den früheren verbesserungsbedürftigen Zustand (da also das Strafrecht nicht kodifiziert, sondern auf einzelnen Gewohnheiten aufgebaut war) bezogen werden. Ein Vergleich der entsprechenden Formulierungen in zwei anderen Gesetzen dieser Zeit, die nachweisbar Vorgänger gehabt haben und dies auch betonen, mit den fraglichen Ausdrücken der steirischen Landgerichtsordnung zeigt, daß diese viel unbestimmter sind 3). Prozeßakten der Zeit vor 1574, die auf eine ältere steirische Landgerichtsordnung Bezug nehmen, konnten nicht gefunden werden. Lediglich im Archiv des Stiftes Rein wird in einem an den Abt dieses Stiftes gerichteten Schreiben am 2. Juli 1571 auf die Bestimmungen der „huebamts vnnd lanndtgerichts Ordnung“ bezüglich der Auslieferung aus Burgfrieden in das Landgericht abgestellt. Daß diese Ordnung 1571 allgemein bekannt war, deuten die Worte an, der Abt von Rein werde „die Ordnung selbst woll wissen“. Die in diesem Brief angeführten Bestimmungen über die Vornahme der Auslieferung ähneln den Vorschriften der Ordnung von 1574. Stärkere Hinweise auf eine frühere Ordnung bieten seit 1568 die Äußerungen der steirischen Landschaft gelegentlich der vorbereitenden Arbeiten an der Erlassung der Ordnung von 1574. Abgesehen davon, daß 1568 die Stände die „hievor aufgerichte landt- *) *) H. Hoegel, Geschichte des österreichischen Strafrechts, Wien 1904, I, S. 35: „Die ältere Strafrechtsentwicklung in Steiermark ist dunkel und mangels verläßlicher Quellen wird es auch kaum gelingen, den Schleier zu lüften.“ „Unzweifelhaft scheint mir aber, daß auch für Steiermark eine Malefizordnung nach Muster der Maximilianischen bestanden hat — sie ist einfach verlorengegangen.“ Er begründet dies sowohl mit der Überschrift der Landgerichtsordnung 1574 als auch mit ihrem a. 138, der sich darstellt als „eine offenbar einer alten verlorengegangenen Malefizordnung entnommene Aufzählung.“ 2) Für die Unkenntnis, die man zu Beginn des 19. Jahrhunderts über Fragen der österreichischen Strafrechtsgeschichte hatte, zeugt die Arbeit von Johann Voll may er, Versuch einer Geschichte der österreichischen Strafgesetzgebung, Wien 1804, der als erste österreichische Halsgerichtsordnung neben der CCC die niederösterreichische Landgerichtsordnung von 1656 anführt! S. 48 ff., 55 ff., 57 ff. Mell stützte sich bei Erwähnung der Landgerichtsordnung von 1574 auf Byloff. Pirchegger behandelt in seiner Geschichte Steiermarks die Landgerichtsordnung nicht und auch der Nestor der steirischen Kriminalgerichtsschreibung, Johann Christian Gräff, gibt keinen Hinweis. („Versuch einer Geschichte der Criminal-Gesetzgebung, der Land- und Banngerichte, Torturen ...“ Grätz 1817). 3) Man vgl. die Ausdrucksweise der steirischen Landrechtsreformation von 1574 und der steirischen Polizeiordnung von 1574.