Leo Santifaller: Ergänzungsband 2/2. Festschrift zur Feier des 200 jährigen Bestandes des HHStA 2 Bände (1951)
VI. Kirchengeschichte - 64. Friedrich Engel-Jánosi (Washington): Zwei Studien zur Geschichte des österreichischen Vetorechtes
298 Engel-Jánosi, einberufen und seit 1910 mit der Leitung der kultuspolitischen Agenden dort betraut, die Haltung, die die Donaumonarchie beim nächsten Konklave einnehmen sollte *). Er nimmt an, daß Rampolla auch weiterhin Österreich-Ungarn nicht wohlwollend gesinnt sein werde. Wenn es ein sicheres Mittel gäbe, den Kardinal von der Wahl auszuschließen, so wäre dessen Gebrauch zu empfehlen; aber es gibt kein solches Mittel. Eine plötzliche Wendung in Österreichs Haltung, die diesen Staat nun zum Befürworter einer Rampolla- Kandidatur machen würde, käme viel zu unvermittelt, um nicht als politisches Manöver durchschaut zu werden: Musulin empfiehlt daher, „einen rein religiösen Standpunkt“ einzunehmen und an der Kurie wissen zu lassen, daß „wir nur den einen Wunsch hegten, daß der Würdigste unter den Berufenen auserwählt werde. ... Es ist anzunehmen, daß Kardinal Rampolla nicht lange in Unkenntnis dieser Weisungen bleiben und daß er den versöhnlichen Charakter derselben zu würdigen wissen werde.“ Mit dieser typisch „diplomatischen“ Wendung schließen die Wiener Akten über eine zweite Kandidatur des Kardinals Rampolla. Am 17. Dezember des Jahres, also acht Monate nach der Denkschrift des Gesandten von Musulin, traf das Telegramm in Wien ein, daß „der Kardinal“ am vorhergehenden Abend verschieden sei; nach weiteren acht Monaten wurde Pius X. aus dem Leben abberufen und das Konklave, das ihm den Nachfolger zu geben berufen war, trat bereits im Weltkrieg zusammen. In seinem Bericht vom letzten Tage des Jahres 1913 kam Prinz Schönburg nochmals auf die Persönlichkeit des Kardinals mit „den ehernen Zügen und dem verschleierten Auge“ zu sprechen, dessen Tod unter Umständen erfolgt war, die noch der endgültigen Aufhellung bedürftig erscheinen2). In den Berichten der Botschaft aus der Zeit des Pontifikats Leos XIII. — so beginnt Prinz Schönburg — „wird kein Name so oft genannt, das Tun und Lassen keiner Persönlichkeit der Kurie so viel und so eingehend besprochen, wie der des Kardinal-Staatssekretärs Rampolla. . . . Seit dem Beginn des neuen Regimes hatte sich der Kardinal von der Öffentlichkeit vollkommen zurückgezogen, so daß ein oberflächlicher Beobachter in Rom über ihn nicht mehr zu hören bekam, als über irgendeinen nicht besonders hervortretenden Kurienkardinal.“ Wenn man eine solche Darstellung als eine angemessene Beschreibung der Tätigkeit Rampollas auffaßte, so übersähe man die überragende Stellung, die dieser Kirchenfürst in den wichtigsten Kongregationen eingenommen hat. Merry del Val, sicherlich kein Rampolla-Anhänger, sagte dem Prinzen vor nicht langer Zeit, daß, wenn es in den Kongregationen galt, „besonders schwierige und komplizierte Fragen zu studieren oder durchzuarbeiten, es geradezu Sitte geworden war, diese Arbeit Kardinal Rampolla zu überlassen, da alle ohne Ausnahme das vollste Vertrauen seinem scharfen Urteile, seiner großzügigen Auffassung und seiner vollen Hingebung für die gute Sache entgegenbrachten“. Diese intensive Tätigkeit, Wirksamkeit und Mitarbeit des bedeutenden Kirchenfürsten unter der Regierung Pius X. blieb der großen Öffentlichkeit verborgen. Prinz Schönburg schließt seinen Bericht vom Sylvestertag mit den Worten: „Wie groß auch seine politischen Fehler und Irrungen gewesen sind, Kardinal Rampolla war und blieb doch immer, auch nach seinem Sturze eine große Gestalt.“ Künftige Forschung mag eines Tages in unbezweifelbarer Darstellung berichten, „wie es eigentlich gewesen ist“, als der Kardinal, auf dessen große Persönlichkeit die Staatsmänner und Diplomaten der einstig gegnerischen Großmacht immer wieder hinwiesen, x) „Unsere Haltung während des nächsten Konklaves“, 16. April 1913. Geh. XXXVI/4. Daselbst erliegt auch ein 28 Seiten umfassendes Memorandum Musulins, geschrieben im Juli 1912, über das zukünftige Konklave. — Freiherr v. Musulin, Das Haus am Ballplatz (München 1924), S. 148. 2) Schlözer Kurd v., Letzte Römische Briefe, herausgegeben von Leopold v. Schlözer (Berlin 1920), S. 110. — Bericht Rom, 31. Dezember 1913, Nr. 41 C. Vertraulich. Rom, Berichte, Weisungen, 1913. Prinz Scliönburgs Bericht erwähnt, daß das Testament des Kardinals in Verlust geraten sei und führt den Tod auf ein Herzleiden zurück, an dem der Kardinal seit mehreren Jahren gelitten habe.