Leo Santifaller: Ergänzungsband 2/2. Festschrift zur Feier des 200 jährigen Bestandes des HHStA 2 Bände (1951)
VI. Kirchengeschichte - 64. Friedrich Engel-Jánosi (Washington): Zwei Studien zur Geschichte des österreichischen Vetorechtes
Zwei Studien zur Geschichte des österreichischen Vetorechtes. 299 von der Nachfolge Leo XIII. ausgeschlossen wurde. Damit wird aber die Frage nicht zum verstummen gebracht, die niemals eine Antwort erhalten wird, die Frage, wie es gekommen wäre, wenn ein um wenige Monate verlängertes Leben Kardinal Rampolla nochmals an einem Konklave hätte teilnehmen lassen — es ist vom historischen Standpunkt aus eine müßige, eine „sinnlose“ Frage — und trotzdem könnte ein unwiderstehlicher Reiz von ihr ausgehen, der uns aufforderte, ihr nachzusinnen. Beilage. Nr. 1513 Geheim XXXVI/4 Vortrag des Ministers des kaiserlichen und königlichen Hauses und des Äußern. Wien, am 3. Juli 1911. Betreffend die Nichtausübung der Exclusiva und die Ernennung des außerordentlichen Botschafters bei dem nächsten Konklave. Allergnädigster Herr! Infolge der mir mündlich erteilten Allerhöchsten Ermächtigung habe ich nicht verfehlt, den von Eurer Majestät Allergnädigst zur Kenntnis genommenen Entwurf der Instruktionen für Euer Majestät Wahlbotschafter bei dem nächsten Konklave sowie der Schreiben an den im gegebenen Momente mit Allerhöchster Entschließung mit dem Secretum zu betrauenden Kardinal und dessen eventuellen Stellvertreter ausfertigen zu lassen, damit diese von den Betreffenden erst nach dem Ableben Seiner Heiligkeit des Papstes Pius X. zu entsiegelnden Weisungen ehebaldigst an ihre Bestimmung gelangen. Für meine Auffassung, daß in der erwähnten Instruktion die Ausübung der Exclusiva beim nächsten Konklave nicht ins Auge zu fassen wäre, sind folgende Erwägungen ethisch-religiöser, juridischer und politischer Natur maßgebend gewesen. Die Einflußnahme der katholischen Großmächte auf die Papstwahl, welche zur Zeit der Rivalität derselben um die Vorherrschaft auf der apenninischen Halbinsel die unter der Bezeichnung „Exclusiva“ historisch gewordene Form annahm, richtete sich damals nicht so sehr auf die politische Haltung der Kirche selbst, als auf jene der Regierung des Kirchenstaates, der infolge seiner zentralen Lage als ausschlaggebender Faktor für das politische Gleichgewicht in Italien gelten mußte. Im Laufe der Zeiten sind an Stelle jener einstigen Rivalitäten ganz andere Fragen in den Vordergrund des politischen Interesses getreten und haben sich daher auch die Ziele der Exclusiva wesentlich verändert. So sollte bei dem letzten Konklave die Ausschließung des Kardinals Rampolla dem überwiegenden Einflüße begegnen, welchen derselbe als Staatssekretär Frankreich eingeräumt hatte und von dessen Steigerung nach seiner Wahl zum Papste eine Beeinträchtigung der Interessen Österreich-Ungarns zu besorgen stand. Durch den vor einiger Zeit erfolgten Abbruch der diplomatischen Beziehungen zwischen dem Heiligen Stuhle und der französischen Republik ist diese Befürchtung, so begründet sie seinerzeit war, nunmehr ebenfalls in Wegfall gekommen. Auch die Staaten der iberischen Halbinsel stehen gegenwärtig nicht in den besten Beziehungen zur Kurie imd nimmt daher Österreich-Ungarn, dank der Aufrechterhaltung seiner traditionellen Anhänglichkeit an die Kirche eine singuläre Stellung unter den katholischen Mächten ein, der die gebührende Rücksichtnahme weder seitens des künftigen Konklaves noch auch seitens des neuzuwählenden Papstes versagt werden kann. Auch wenn Kardinal Rampolla, welcher übrigens in den letzten Jahren Österreich-Ungarn gegenüber eine durchaus einwandfreie Haltung eingenommen hat, auf den Stuhl des heiligen Petrus gelangen sollte, ist es von dem staatsklugen Sinne dieses Kirchenfürsten sicherlich zu erwarten, daß er den Zeitläuften volle Rechnung tragen und nunmehr seinen französischen Sympathien nur soweit nachgeben dürfte, als dies die Österreich-Ungarns Interessen geschuldeten Rücksichten gestatten. Zu einer Wiederholung der Exclusiva schon bei dem nächsten Konklave, welche angesichts der gegen dieselbe gerichteten Enunziationen Seiner Heiligkeit Papst Pius X. in der katholischen Welt einen peinlichen Eindruck hervorrufen müßte, liegt daher heutzutage kein genügender politischer Grund vor. Überdies ist auch die praktische Möglichkeit einer Ausübung des Vetos infolge der Exkommunikations- verhängung über den ein diesbezügliches Mandat übernehmenden Kardinal recht fraglich geworden. Der betreffende Kirchenfürst würde durch die Betrauung mit einer solchen Mission in einen Konflikt zwischen seinem Gewissen und seiner Untertanstreue geraten, dem er sich kaum anders als durch die Ablehnung des Secretum entziehen könnte.