Leo Santifaller: Ergänzungsband 2/2. Festschrift zur Feier des 200 jährigen Bestandes des HHStA 2 Bände (1951)

VI. Kirchengeschichte - 64. Friedrich Engel-Jánosi (Washington): Zwei Studien zur Geschichte des österreichischen Vetorechtes

Zwei Studien zur Geschichte des österreichischen Vetorechtes. 297 Aehrenthal verfaßte das Schriftstück kurz bevor er sich über Wunsch Italiens zur Erneuerung des Dreibundvertrags entschloß *) und damit neuerlich einen Beweis seines Willens, mit Italien in guten Beziehungen zu leben, erbrachte. Es ist bemerkenswert, daß auch der Außenminister trotz seiner Bereitwilligkeit, an Italien größere Zugeständnisse als nicht nur die Intransigenten unter der Führung Conrads v. Hötzendorf, sondern auch als sein Nachfolger im Amt, Graf Berchtold1 2), zu machen, die Ansicht vertrat, daß Österreich-Ungarn einer Kandidatur oder einer Wahl Rampollas keine Hindernisse bereiten sollte. Und dies, obwohl keinerlei Grund besteht, anzunehmen, daß dem Außenminister die ungünstige'Wirkung unbekannt war, die eine solche Wahl auf die Beziehungen zwischen der Kurie und dem Königreich Italien haben würde! Auch Aehrenthal schien der „staats­kluge Sinn dieses Kirchenfürsten“ eine Gewähr dafür zu bieten, daß er „nunmehr seinen französischen Sympathien nur soweit nachgeben werde, als dies die Österreich-Ungarns Interessen geschuldeten Rücksichten gestatten“ würden. So riet auch er dringend von einem Versuch ab, in irgendeiner Form das österreichische Veto im nächsten Konklave zu wiederholen. So begründet seinerzeit die Besorgnis war, daß Rampolla als Papst, wie er es als Staatssekretär getan, Frankreich einen überwiegenden Einfluß einräumen und dadurch die Interessen der Doppelmonarchie beeinträchtigen würde, so ist nun eine Veränderung der allgemeinen Lage eingetreten und Österreich-Ungarn nimmt jetzt — einerseits dank seiner traditionellen Anhänglichkeit an die Kirche, andererseits infolge des Bruchs zwischen Vatikan und Frankreich sowie der unfreundlichen Haltung Spaniens und Portugals — „eine singuläre Stellung unter den katholischen Mächten ein, der die gebührende Rücksichtnahme weder seitens des künftigen Konklaves noch auch seitens des neuzuwählenden Papstes versagt werden kann“. Aus den Worten des erfolgreichen Außenministers spricht ein gesteigertes staatliches Selbstbewußtsein sowie ein Vertrauen zur Zukunft Österreich-Ungarns. Der Kaiser erklärte sich zwei Tage, nachdem Graf Aehrenthal seinen Vortrag erstattet hatte, mit dessen Inhalt einverstanden. Der Nachfolger Szécsens als Botschafter beim Vatikan, Prinz Johann Schönburg- Hartenstein, sandte im April des nächsten Jahres ein „tableau“ der italienischen Kardinäle nach Wien 3); in dieser Übersicht befaßte sich der Botschafter ausführlich mit dem bei der letzten Wahl vom österreichischen Veto Betroffenen. Prinz Schönburg glaubt nicht, daß Kardinal Rampolla Chancen habe, im nächsten Konklave gewählt zu werden, obwohl sein Name bei dieser Gelegenheit viel genannt werden würde als der des bekanntesten und auch des bedeutendsten Mitgliedes des Heiligen Kollegs. Der Prinz ist der Ansicht, daß Rampolla seine Aspirationen auf die höchste Würde in der Kirche keineswegs aufgegeben habe, wenn er sich auch seit Jahr und Tag vollkommen zurückgezogen hat und politisch gar nicht mehr hervortritt. Der Botschafter betont, welch großen Eindruck die Persönlichkeit des ehemaligen Staatssekretärs Leos XIII. stets auf ihn mache, i,,den Eindruck einer sehr großen und bedeutenden Persönlichkeit . . . (der) das eminent Autoritative geradezu in Fleisch und Blut übergegangen zu sein scheint. Er ist, was man mit dem modernen Ausdruck ,ein Übermensch* bezeichnet. . . . Wenn ich sage ,ein Übermensch*, so will ich damit gewiß nicht sagen ,ein Gewaltmensch'. Rampolla ist vor allem Staatsmann. Wo es möglich und vorteilhaft ist, wird er gewiß Kompromisse zu schließen bereit sein.“ Er würde daher, falls er nochmals an eine leitende Stellung berufen würde, „nicht mehr so intransigent, nicht mehr so parteiisch sein“. Aber dem Botschafter scheint dieser Fall nicht sehr wahrscheinlich. Nochmals — und nun zum letztenmal — erörterte im Frühjahr 1913 Freiherr von Musulin, seit 1903 als Gesandter und bevollmächtigter Minister ins Außenministerium 1) Pribram Alfred F., The Secret Treaties of Austria-Hungary (Cambridge 1921), II, 151 ff. — Der in Geltung stehende Dreibund-Vertrag lief erst im Juli 1914 ab; es handelte sich also um eine vorzeitige Erneuerung der Vereinbarungen. 2) Pribram, a. a. O., 160 f. 3) Rom, 11. April 1912, Nr. 15 B, Geheim XXXVI/4.

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