Leo Santifaller: Ergänzungsband 2/2. Festschrift zur Feier des 200 jährigen Bestandes des HHStA 2 Bände (1951)
VI. Kirchengeschichte - 64. Friedrich Engel-Jánosi (Washington): Zwei Studien zur Geschichte des österreichischen Vetorechtes
296 Engel-Jánosi, Beide Lösungen sind eigentlich für die Wiener Politik gleichbedeutend: soll daher die Doppelmonarchie auch beim nächsten Konklave gegen Rampolla Front machen ? Dies verneint der Sektionschef entschieden *)• ,,Die Interessengemeinschaft zwischen der Kurie und den katholischen Monarchien ist zwar keine vollständige, die Ziele sind verschieden, aber die Gegner beider sind fast ausnahmslos dieselben und nichts eint bekanntlich mehr, als gemeinsame Feinde. Ich glaube nun detaillierterer Ausführungen enthoben zu sein, wenn ich behaupte, daß ein Vergleich der Ära Leos XIII. — Rampolla mit dem Regime Pius X. — Merry del Val in kirchlicher, politischer und, wie es scheint, auch finanzieller Hinsicht zu Ungunsten des letzteren ausfallen muß.“ Auch Mérey weist auf das Bestreben des Staatssekretärs Leos hin, das republikanische Frankreich für den Vatikan zu gewinnen; aber auch er ist überzeugt, daß nun, da ,,die Tatsache des Bruchs besteht und nachdem seit drei Dezennien die Orientierung der französischen Politik konstant und schrittweise nach links erfolgte“, ein Zusammengehen von Vatikan und Quay d’Orsay unmöglich geworden ist. Selbst wenn Rampolla wollte, könnte er seine frühere Politik nicht fortsetzen. Spanien und Portugal bieten der Kurie ebenfalls keine wesentliche Stütze mehr: um so wichtiger wird die Donaumonarchie. „Dieser Situation wird und muß ein Staatsmann wie Rampolla Rechnung tragen und wenn bei ihm das nicht unbegreifliche Gefühl der Ranküne gegen uns obwalten sollte, so wird die politische Notwendigkeit stärker als sein subjektives Empfinden sein.“ Man solle den Kardinal über die in Wien eingetretene Wendung nicht im unklaren lassen. Andererseits solle sich Österreich keinen Illusionen hingeben: der vom Botschafter vorgeschlagene Weg, die Kandidatur Rampollas durch persönliche Einwirkung auf die Kardinäle zu beseitigen, wird nicht zum Ziel führen. Die heutige Lage beweist vielmehr, daß nicht einmal der Gebrauch des Veto ihm dauernd zu schaden vermochte. Überdies ist das Veto nun endgültig aus der Welt geschafft. „Wir haben im letzten Konklave einen Kanonenschuß gegen Kardinal Rampolla abgefeuert. Wenn er von demselben unversehrt und sogar gestärkt (sic!) im künftigen Konklave sich abermals als Kandidat für die Tiara zu präsentieren in der Lage ist, kann ihm auch das Kleingewehrfeuer einer voraussichtlich recht schwächlichen Konklave-Intrigue nicht den Garaus machen.“ Der Sektionschef sieht voraus, daß die Wahl Rampollas oder eines völlig unter seinem Einfluß stehenden Kardinals zwei Folgen haben werde: die Beziehungen zwischen Vatikan und Quirinal würden sich neuerlich verschlechtern; aber wäre diese Wendung den Interessen der Donaumonarchie, vor allem im Orient, wirklich entgegen? Die zweite Folge „dürfte eine mitunter vom Standpunkt unserer inneren Politik unbequeme, allzu nachdrückliche Unterstützung der christlichsozialen Partei sein“. Graf Nikolaus Szécsen, seit Dezember 1910 auf den Botschafterposten in Paris versetzt 2), kam von dort aus im Frühjahr 1911 nochmals auf die Kandidatur Rampollas zu sprechen 3); man müsse annehmen, „der Kardinal“ werde bei der nächsten Wahl „jedenfalls eine gewisse Anzahl Stimmen auf sich vereinigen“; es sei aber doch sehr wahrscheinlich, daß gar manches Mitglied des Kollegs zögern dürfte, ehe man die Stimme in einer Weise abgebe, die geeignet sei, „die Beziehungen des Heiligen Stuhles zur letzten und einzigen katholischen Großmacht, wo die katholische Kirche ungestörte Freiheit genießt, ungünstig zu beeinflussen“. Der nächste, der in dieser Frage das Wort nahm, war der Außenminister selbst. Dem Vortrag, den Graf Aehrenthal am 3. Juli 1911 erstattete, war eine Aussprache mit dem Kaiser über die Haltung der Monarchie bei der nächsten Papst wähl vorangegangen4). x) „Ich habe diese Meinung schon zur Zeit des letzten Conclaves gehabt“, schreibt Mérey in seinem Promemoria vom 18. Jänner 1908. 2) Nikolaus Graf Szécsen von Temarin, Personalakten im Staatsarchiv. 3) Paris, 29. April 1911, Geheim XXXVI/4. 4) Vortrag des Ministers des kaiserlichen und königlichen Hauses und des Äußern. Wien, am 3. Juli 1911; vgl. Beilage.