Leo Santifaller: Ergänzungsband 2/2. Festschrift zur Feier des 200 jährigen Bestandes des HHStA 2 Bände (1951)
VI. Kirchengeschichte - 64. Friedrich Engel-Jánosi (Washington): Zwei Studien zur Geschichte des österreichischen Vetorechtes
Zwei Studien zur Geschichte des österreichischen Vetorechtes. 289 Gesinnung, wenn auch in weniger ausgesprochener Weise, so daß Österreich gegen sie wahrscheinlich keinen Einspruch erheben wird. Auch wegen seines wenig fortgeschrittenen Alters scheint Falconieri der wünschenswertere zu sein. Der Name Mastai-Ferrettis wird nicht erwähnt. Am gleichen Tag ließ Guizot Instruktionen für die zum Konklave abreisenden französischen Kardinale verfassen 1), die sich etwa mit den österreichischen Weisungen des Jahres 1823 vergleichen lassen. Sie stellen fest, daß Frankreich weder einen speziellen Kandidaten hat, noch einen der Kardinäle namentlich ausschließen will; doch wünscht der König auf dem Stuhl Petri einen unabhängigen Mann zu sehen, der aufrichtig italienisch fühlt, dem die Unabhängigkeit der italienischen Staaten am Herzen liegt und der entschlossen ist, sie, wenn notwendig, zu verteidigen. Die Spitze gegen einen neuerlichen Versuch einer österreichischen Intervention ist klar. Guizot überläßt es seinem Botschafter, gegen einen Kardinal, der diese Voraussetzungen nicht erfüllen würde, das Veto zu gebrauchen. In einem anderen ebenfalls in Paris verfaßten Memorandum werden die Chancen der verschiedenen Parteien im Konklave abgewogen 2): die französische Partei wird als nicht genug mächtig angesehen, um selbst einen Erfolg zu erringen, wohl aber als genügend stark, um die Niederlage der Gegner herbeizuführen und Bedingungen durchzusetzen, wobei ihr als wirksame Hilfe „habillement suspendue et judicieusement appliquée“, das Veto, zur Verfügung steht. Irgendeine Wirkung hatten die Weisungen der französischen Regierung nicht: das Konklave des Jahres 1846 kam zu einem Ende, bevor einer der nichtitalienischen Kardinäle in Rom eingetroffen war. Die Vorgänge bei der Wahl Pius IX. sind im großen bekannt: am 14. Juni, eine Stunde vor Mitternacht wurde das „Extra omnes“ ausgerufen; am 15. wurde der erste, am 16. der letzte Wahlgang vorgenommen; die Kürze seiner Dauer war wohl die größte Überraschung, die dieses Konklave bot. Der Wahlkampf spielte sich im wesentlichen ab zwischen Lambruschini, in dem sich das alte Regime verkörperte, und Mastai-Ferretti: den Parteien der Alten und der Jungen, nach dem Ausdruck Rossis. Am Morgen des 16. war der Sieg des Bischofs von Imola entschieden 3). In Rom aber hatte sich das Gerücht verbreitet, daß Kardinal Gizzi gewählt, doch von Österreich exkludiert worden sei4). Gizzi stammte aus den ärmsten Schichten; Massimo d’Azeglio, der Führer der ersten Generation italienischer „Liberaler“, hatte ihn in seiner Schrift „Degli ultimi Casi della Romagna“ gepriesen wegen seiner „umanita“ und „nobilitä del cuore“, Eigenschaften, denen die Aufrechterhaltung der Ruhe in der ihm unterstellten Legation von Forli zugeschrieben wurde 5). Das Gerücht war aus der Luft gegriffen: Gizzi hatte bei keinem Wahlgang mehr als zwei Stimmen erhalten; doch es war bezeichnend für die Stimmung in Rom im Juni 1846, daß man den Widersacher sofort in Österreich suchte 6). Rossi berichtete, daß die drei Kandidaten, die die öffentliche Meinung der Hauptstadt begünstigte, Gizzi, Mastai und Soglia waren. Unter den politischen Satiren des Juni 1846 finden sich zwar keine Verse, die Gizzi preisen, wohl aber in „LaTerna“ die folgenden über Mastai und Soglia: 1) Ebenda. — Sie wurden dann in einer Weisung an Rossi zusammengefaßt, datiert 17. Juni 1846. -— Die französischen Kardinäle waren: De La Tour d’Auvergne (Arras), Bonald (Lyon) und Bemet (Aix). 2) Indices Généraux sur le Conclave. Paris, 11. Juni 1846, A. A. E. — Es wird angenommen, daß sich fünf Parteien bilden würden: parti du Gouvernement, parti Génois, parti Autrichien, parti Fran^ais, parti Jésuite. 3) Vgl. Anhang 1 über die Stimmenabgabe beim Konklave. 4) Lützow, Lettre Particuliére, 20. Juni 1846 StA.; Rossi, Rapports, Rome 17, 28. Juni 1846. A. A. E. 5) Degli Ultimi Case di Romagna (Lugano, 1846), 68 f.; vgl. auch den Artikel „Gizzi“ von Ghisalberti A. M. in der Enciclopedia Italiana. 6) Rapport Rome, 17. Juni 1846, A. A. E. — Eine Erklärung, wie das Gerücht entstanden sein mochte, bei Mitterrutzner, Dr. Johannes C'hrysostomus, „Aus dem Schatz der Erinnerungen eines glücklichen Menschen“, Programm des k. k. Gymnasiums in Brixen, 1904, 28 f. (Freundlicher Hinweis von Univ.-Prof. L. Santifaller.) — Soglia war unter Pius IX. Vorsitzender jenes 1848er Kabinetts, dessen wichtigstes Mitglied Pellegrino Rossi, französischer Botschafter in Rom bis zur Februarrevolution, war und am 15. November ermordet wurde. 19 Festschrift, II. Band.