Leo Santifaller: Ergänzungsband 2/2. Festschrift zur Feier des 200 jährigen Bestandes des HHStA 2 Bände (1951)
VI. Kirchengeschichte - 64. Friedrich Engel-Jánosi (Washington): Zwei Studien zur Geschichte des österreichischen Vetorechtes
288 Engel-Janosi, den Stand der päpstlichen Regierung hinsichtlich der Legationen falsch aufzufassen“ x). Um Frankreich einen Gefallen zu erweisen, soll Gregor ihn zum Staatssekretär bestellt haben 2); Bernetti galt als das Haupt der Österreich abgeneigten Partei, was ihn als Führer der Frankreich zugetanen Gruppe im Kolleg erscheinen ließ. Und dies war eine ernste Anschuldigung sowohl am Ballhausplatz als im Palazzo di Venezia, wo für Lützow um jene Zeit die Rivalität begann, die ihm den Rest seines Aufenthalts in Rom verleiden sollte, die Rivalität mit Pellegrino Rossi, dem Vertreter Frankreichs 3), der in so vielem das persönliche Widerspiel des österreichischen Botschafters war, während der Konflikt an sich weit über alles Persönliche hinaus den jahrhundertealten Gegensatz der beiden Großmächte eben in der Italienpolitik verkörperte, zum großen Teil auf geopolitische Momente gegründet. Auch die Persönlichkeit fehlte nicht im Tableau Lützows, die schließlich als Pius IX. das Konklave verlassen sollte; Kardinal Mastai-Ferretti. Seine hohe Frömmigkeit wird gerühmt; sein Einfluß erstrecke sich gegenwärtig nicht über die Grenzen seiner Diözese; dort genieße er die Achtung aller, der Geistlichen wie der Laien. „Die Partei“, schreibt der Botschafter, „die mit der von Bernetti ausgegebenen Losung für die nächste Wahl: né frate, né forestiere (Gregor XVI. als in Venetien geborener Kamaldulenser galt als beides) ernst machen will, wird gewiß Mastai auf den Schild erheben“. Dieser Bericht aus dem Jahre 1842 diente Metternich als Grundlage, als er sich anschickte, die Instruktionen für das Konklave von 1846 zu erteilen. Wir haben allen Grund, anzunehmen, daß sich die Haltung des Staatskanzlers nicht wesentlich unterschied von jener, die er 1831 eingenommen, als er seinem Vertreter nach Rom schrieb: „Die hohe geistliche Autorität wird, indem sie sich mit uns, der einzigen noch wirklich unversehrten weltlichen Macht verbündet, sich selbst und ganz Europa sehr wesentliche Dienste leisten“; und auf die Notwendigkeit eines wirklichen Regierens statt eines müden Administrierens verweisend: „Que le Gouvernement Pontifical ne fasse point de l’esprit, mais qu’il suive nos conseils. La peine est moindre et le profit ne se trouvera que lä“ 4). Die Züge des Metternichbildes, wie H. v. Srbik es gezeichnet, mögen wohl im einzelnen nachgezogen oder ergänzt werden, im wesentlichen stehen sie fest. Im Jahre 1846 war die Zeit, in der sich die Gruppen in einem Konklave gemäß dem Einfluß der großen Mächte bildeten, vorüber; „nur allzusehr betrachten die Kardinäle heute die Papstwrahl als eine Familienangelegenheit, die lediglich sie angeht“, klagt Lützow. Auch Frankreich, wo damals Guizot die Leitung des Quai d’Orsay innehatte, hatte viel Interesse an dem Ausgang der Papstwahl. Doch wmrden hier die betreffenden Schriftstücke, die an Ausführlichkeit weit hinter dem Tableau Lützowrs Zurückbleiben, in Paris und nicht bei der Vertretung in Rom abgefaßt. In dem ersten werden sechs Kardinäle, unter ihnen Mai, als besonders aussichtsreiche Kandidaten für die Tiara genannt, worauf jene zwei Porporati ins Auge gefaßt werden, die, ohne selbst papeggianti zu sein, den größten Einfluß im Konklave ausüben würden: Lambruschini und Bernetti5). Der erste, anerkanntermaßen freundlich für Österreich eingestellt, wdrd eben deshalb schließlich keinen Erfolg haben; der zweite, Frankreich w^enig geneigt, ist aber noch unfreundlicher Österreich gesinnt, und ihm wird die Leitung jener Gruppe von Kardinälen zufallen, die dem Staatssekretär Gregors nicht gewogen sind. Unter den Papeggianti hat Castracane so offenkundige Sympathien für Frankreich, daß man mit einem Veto von Österreich gegen ihn rechnen muß. Noch zwei Kardinäle, die Aussichten haben mögen, hegen eine Frankreich freundliche q Jugendzeit Prokesch-Osten, 130. 2) Schmidlin, a. a. O., I, 517 f. 3) Vgl. Ledermann Lazio, Pellegrino Rossi (Paris 1929). Diese Biographie stützt sich auf reiches Material aus den Archiven von Paris und Rom, das aber nicht genügend verarbeitet ist. 4) Jugendzeit Prokesch-Osten, 118 f. 5) Archives du Ministére des Affaires Etrangéres, Paris (im folgenden: A. A. E.), Rome, 8. Juni 1846.