Leo Santifaller: Ergänzungsband 2/2. Festschrift zur Feier des 200 jährigen Bestandes des HHStA 2 Bände (1951)
VI. Kirchengeschichte - 64. Friedrich Engel-Jánosi (Washington): Zwei Studien zur Geschichte des österreichischen Vetorechtes
284 Engel-Jánosi, Fall bekannt, demzufolge ein vom Veto betroffener Kardinal zum Papst gewählt wurde. Im Jahre 1904 wurde die Übernahme des Auftrags, im Konklave in einem exkludierendem Sinn gegen einen Kardinal zu sprechen, unter so schwere Kirchenstrafen gestellt, daß das Veto seitdem wohl als tatsächlich abgeschafft bezeichnet werden kann. Die Grundsätze, die Österreich bei der Ausübung des Exklusive im Jahre 1846 leiteten, gehen auf Instruktionen zurück, die Metternich im Juni 1823, als der Tod Pius VII., des Wiederherstellers des Kirchenstaates, erwartet wurde, formulierte und die im wesentlichen die Grundlage für eine Praxis, die sich über 80 Jahre erstrecken sollte, bildeten. Man war sich auf Seite der Mächte vollkommen bewußt, daß das Veto eine gefährliche, odiose, oft wie ein Bumerang auf die Ausübenden zurückprallende Waffe war, die — wie immer wieder in den Staatskanzleien betont wurde — nur im äußersten Fall zu gebrauchen war 4). Abgesehen davon, daß es bei dem Betroffenen und dessen Freunden einen Stachel zurückließ, der nicht aus der Welt geschafft werden konnte, ja daß das ganze Kardinalskolleg es als einen Angriff auf seine Würde empfand, stand es in der Macht geschickter Konklavepolitiker, durch Scheingruppierungen und Scheinkandidaturen die mit dem Veto, dem „Secret“ der priviligierten Mächte betrauten Kardinäle zu einem vorzeitigen Ausspruch der Exklusion zu veranlassen, so daß sie — da die Tradition nicht mehr als ein einmaliges Veto bei einer Papstwahl zubilligte — von da an im Konklave waffenlos waren. Die Technik der Handhabung des Vetos wurde in allen Nuancen ausgearbeitet und Geistliche und Laien haben erbauliche Regeln und Betrachtungen darüber zu Papier gebracht. Da alter Überlieferung gemäß das Konklave unter strengstem Ausschluß aller nicht unmittelbar daran Beteiligten vor sich geht — „Extra omnes“ ist die vor dem Beginn ausgerufene Weisung — und die Konstellationen während eines Wahlgangs rasch wechseln mögen, war es für die Staatskanzleien notwendig, das Exklusive gegen einen bestimmten Kardinal im vorhinein zu erteilen, wobei es geschehen mochte, daß der Name des Exkludierten als Kandidat für die Tiara überhaupt nicht erwähnt wurde; in einem solchen Fall lag dem Auftraggeber begreiflicherweise daran, alle Spuren der unnötigerweise ausgesprochenen Exklusion zu vertilgen. Die Bedeutung des Vetorechtes war vielleicht noch offenkundiger, solange das zu wählende geistliche Oberhaupt der Kirche zu gleicher Zeit auch der Souverän eines in den politischen Konstellationen Italiens und Mitteleuropas nicht zu übersehenden Mittelstaates der Appenninenhalbinsel war. Metternichs Weisung, die er am 20. Juni 1823 an den österreichischen Botschafter in Rom sandte, ging auf die kaiserliche Entschließung vom 13. dieses Monats zurück: ihr zufolge sollte der Kirche ein Oberhaupt gegeben werden „in der Person eines untadelhaften, frommen, vernünftigen, mäßigen und den Schwierigkeiten und Gefahren der gegenwärtigen Zeit gewachsenen Mannes“. Unter diesen Erfordernissen war wohl vom politischen Standpunkt jenes das wichtigste, das die „mäßigen“ Grundsätze betonte, wodurch die Wahl eines „Zelante“, eines Anhängers der extremen Richtung, ausgeschlossen wurde. Noch nachdrücklicher wies der Staatskanzler darauf hin, daß des zu Wählenden „principes modérés“ sowie dessen „caractére conciliant et impartial“ entscheidend sein sollten2). Die Instruktionen für das Konklave von 1829 bezogen sich ausdrücklich auf die Weisungen von 1823. Damals wie heute — heißt es in ihnen 3) — ist es unser einziger Wunsch, auf den päpstlichen Thron einen Kardinal erhoben zu sehen4), dessen „sagesse et moderation“, die *) *) Vgl. Metternichs Weisungen 20. Juni 1823, Conclaveakten 1823; 4. März 1829, Conclaveakten 1829, StA. 2) Kabinettsakten, Protokolle 1822, 246/74; Metternichs Weisung 20. Juni 1823, StA. 3) Weisung Metternichs 21. Februar 1829, Conclaveakten 1829, StA. 4) In der Denkschrift Graf Kuefsteins (Juli 1891) heißt es: „Unsere (Österreichs) Tendenz war seit der Verfügung Kaiser Franz’von 1823, daß Parteibildungen zu Gunsten fremder Regierungen vermieden wurden und mit Ausschluß von Zelanten die Wahl des Gerechtesten, Weisesten und Gemäßigsten zustande komme“, 51r, StA.