Leo Santifaller: Ergänzungsband 2/2. Festschrift zur Feier des 200 jährigen Bestandes des HHStA 2 Bände (1951)

VI. Kirchengeschichte - 64. Friedrich Engel-Jánosi (Washington): Zwei Studien zur Geschichte des österreichischen Vetorechtes

Zwei Studien zur Geschichte des österreichischen Vetorechtes. Von Friedrich Engel-Janosi (Washington). I. Das Konklave von 1846. Immer wieder wurde von Historikern und Schriftstellern erzählt, wie Kardinal Mastai-Ferretti nur deshalb zum Nachfolger Gregors XVI. gewählt werden konnte, weil der das österreichische Exklusive zum Konklave bringende Kardinal Graf Gaysruck, Erzbischof des damals österreichischen Mailand, erst nach erfolgter Papstwahl in Rom eingetroffen sei. Man war von dieser Darstellung um so mehr überzeugt, da sie ja auch ,,innere Evidenz“ aufzuweisen schien: eben im Augenblicke, da der italienischen Nation der langersehnte nationale und liberale Papst geschenkt werden sollte, den die Schriften De Maistres und Giobertis in Aussicht gestellt, den die Neoguelfen ersehnt hatten, der wie vorgebildet in der Regierung Pius VII. — Consalvi — ,,non erat ille lux“ — erschienen war, richtete sich nochmals der österreichische Widersacher — ,,lo straniero“ par excellence — zum Gegenschlag auf, den eine gütige Vorsehung aber von Italien abzuwenden gewußt hat. In den letzten Jahren ist zuerst von Eisler, dann ziemlich lau von Schmidlin und letzthin von Bortolotti1), die alle in den Akten des österreichischen Staatsarchivs gelesen hatten, festgestellt worden, daß das im Jahr 1846 erteilte Veto Österreichs nicht gegen Mastai- Ferretti gerichtet war. In den folgenden Seiten soll weniger diese Frage behandelt, als darzustellen versucht werden, wie es zu dieser Exklusion gekommen ist 2). Das Vetorecht, d. h. das von mehreren „katholischen“ Staaten in Anspruch genommene Privileg, bei jedem Konklave je einen Kardinal von der noch nicht erfolgten Papstwahl durch einen hiezu beauftragten Kardinal auszuschließen, geht nicht — wie man leicht annehmen möchte — auf die kaiserliche Schutzgewalt des Mittelalters oder auf einen der häufig unternommenen Versuche, der weltlichen Gewalt auch einen spirituellen Charakter oder einen hierarchischen Rang anzuerkennen, zurück, sondern entwickelte sich in jener Zeit, als zuerst auf der Appenninen-Halbinsel und dann in Europa überhaupt die Lehre vom politischen „Gleichgewicht“ einer Mehrheit von im Prinzip gleichberechtigter Staaten sich entwickelte. Seit dem frühen 18. Jahrhundert, in dem die Theorie des Vetorechts voll ausgebildet war, wurde dieses Privileg jedenfalls von Österreich, Frankreich und Spanien beansprucht, während eine parallele Reklamation durch Neapel und Portugal nicht sicher­gestellt ist 3). Die Kurie erkannte dieses Privileg niemals ausdrücklich an, doch ist kein b Eisler A., Das Veto der katholischen Staaten bei der Papstwahl seit dem Ende des XVI. Jahr­hunderts (Wien, 1907); Schmidlin J., Papstgeschichte der Neuesten Zeit (München, 1934), II, 14; Bortolotti S., Metternich e ITtalia nel 1846 (Torino, 1945), 114 ff. Ich zitiere auf Grund des Hinweises von Ghisalberti A. M., „Gregorio e il Risorgimento Italiano“ in Gregorio XVI. Miscellanea Comme- morativa (Roma, 1948), II, 126; ich konnte Bortolottis Buch weder in Wien noch in Washington erhalten. 2) Ich möchte an dieser Stelle Herrn Oberstaatsarchivar Dr. Gebhard Rath, Gräfin Dr. Anna Coreth, Baronin Dr. Maria Wo in ovi ch und Dr. Anna Benna, die mich bei den Forschungen, die ich im Frühjahr und Sommer 1949 im Wiener Staatsarchiv anstellen durfte, in der selbstlosesten und freundlichsten Weise unterstützt haben, meinen tiefgefühlten herzlichen Dank aussprechen. 3) Zur Geschichte des Vetorechtes vgl. Eisler, a. a. O., Sägmüller J. B., Lehrbuch des katholischen Kirchenrechts (Freiburg 1934), I, 497 ff., sowie mehrere im Staatsarchiv (im folgenden: StA.) erliegende handschriftliche Memoranda, die zumeist von Karl Graf Kuefstein verfaßt sind.

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