Leo Santifaller: Ergänzungsband 2/2. Festschrift zur Feier des 200 jährigen Bestandes des HHStA 2 Bände (1951)
VI. Kirchengeschichte - 63. Andreas Posch (Graz): Die deutsch-katholische Gemeinde in Wien
Die deutsch-katholische Gemeinde in Wien. 279 Augenblicklich machen die Deutschkatholiken wenig Fortschritte. Ihr Einfluß, speziell unter der studierenden Jugend, ist gering. Peßnegger ist jetzt bei Neuaufnahmen sehr vorsichtig und verlangt stets die Meldungsbestätigung des katholischen Seelsorgers. Schlimme Einflüsse auf das bürgerliche Leben sind aber für die Zeit nach der Aufhebung des Belagerungszustandes wieder zu befürchten. Politische Ziele lassen sich augenblicklich wegen der strengen Überwachung nicht nachweisen. Aber im Prinzip der Auflehnung gegen die geistliche liegt auch schon die Auflehnung gegen die weltliche Gewalt (also die These Metternichs). Nach ihrem Vorleben sind die Deutschkatholiken in Österreich lauter Radikale. Das weitere Schicksal der Gemeinde hing von der politischen Gestaltung ab. Die Unterdrückung der Revolution und die Angst vor neuen Erschütterungen wurde ihr verhängnisvoll. Das konservative Lager benützte den Umstand, daß die Deutschkatholiken wohl sämtlich aus den Reihen der Demokraten und Radikalen stammten, und daß die ganze Bewegung mit der revolutionären Erhebung des Jahres 1848 zeitlich und personell in engster Verbindung stand, um immer wieder auf ihre Staatsgefährlichkeit hinzu weisen und die völlige Unterdrückung zu verlangen. Die WKZ. z. B. bemerkt, daß die Häupter der Deutschkatholiken wie Blum, Dowiat, Ronge, Schuselka den politischen Umsturz im Auge hatten 1), bezeichnet sie als „Sozialisten“ 2) und tadelt es, daß sie in Wien noch immer unbehelligt „taufen, kopulieren und ihre Toten einscharren“ sowie eine Flut von Schmähschriften gegen die katholische Kirche loslassen dürfen 3). Letzteres ist bei der strengen Zensur jener Tage kaum denkbar. Immerhin wurde die in Graz erscheinende Wochenschrift „Urchristentum“ und die Broschüre über die Ohrenbeichte auch in Wien viel verbreitet 4). Eine neue Presseverordnung vom 6. Juli 1851 bot stärkere Handhaben zur Unterdrückung nicht genehmer Druckschriften, worauf Minister Bach den Statthalter von Steiermark aufmerksam machte. Mit 21. August 1851 hörte das „Urchristentum“ zu erscheinen auf. Neben der Beschlagnahme von Broschüren setzten auch Hausdurchsuchungen ein, der Begriff der erlaubten „häuslichen Andacht“ wurde sehr eng ausgelegt. Jede Zusammenkunft mehrerer Personen galt schon als strafbar. Auch Teilnahme an Taufen und Begräbnissen galt als unerlaubt und daher als strafwürdige Zusammenkunft. In einem Bericht an den Innenminister v. Bach berichtet der Wiener Stadthauptmann über die ergriffenen Maßnahmen 5) gegen die Deutschkatholiken, „die unter religiösem Deckmantel staatsfeindlich sind“. Die Deutschkatholiken berufen sich polizeilichen Maßnahmen gegenüber stets auf die verfassungsmäßigen Rechte sowie auf das Menschenrecht der Glaubensfreiheit, sie erklären sich in ihren staatsbürgerlichen Rechten gekränkt, wenn das Hausrecht verletzt und die Glaubensfreiheit beschränkt wird. Es sei unmenschlich, den Deutschkatholiken verwehren zu wollen, einander einen Liebesdienst zu erweisen oder auf den letzten Gang zu begleiten 6). Der Stadthauptmann empfindet selbst den Mangel einer gesetzlichen Handhabe und schlägt die völlige Unterdrückung der Deutschkatholiken auch als Verein vor, „um dem staatsgefährlichen Unwesen ein Ende zu machen“. Desgleichen erklärte die niederösterreichische Statthalterei dem Minister des Inneren „es sei nunmehr an der Zeit, dem Treiben dieser in moralischer und politischer Hinsicht gleich verwerflichen Sekte auf gesetzlichem Wege ein Ende zu bereiten“ 7). Daraufhin erstattete Minister Bach am 7. November 1851 im Ministerrat ein ausführliches Referat: Die Wirren des Jahres 1848 haben die Sekte hieher geführt, die zuerst J) Nr. 30/1851. 2) WKZ., Nr. 38/1851. 3) WKZ. vom 24. Juni 1851. 4) Siehe Posch, a. a. O., S. 97ff., Bericht des Stadthauptmanns von Wien an den Minister des Inneren vom 18. September 1851. 5) Bericht vom 18. September 1851. 6) So das polizeüiche Protokoll vom 7. September 1851 mit dem angesehenen Deutschkatholiken Karl Bayer in Gumpendorf. 7) Relation vom 18. September 1851.