Leo Santifaller: Ergänzungsband 2/2. Festschrift zur Feier des 200 jährigen Bestandes des HHStA 2 Bände (1951)

VI. Kirchengeschichte - 63. Andreas Posch (Graz): Die deutsch-katholische Gemeinde in Wien

276 Posch, Die Tage der Revolution waren inzwischen längst der politischen Reaktion gewichen, den Deutschkatholiken wurden ihre engen Beziehungen zu den radikalen Elementen immer wieder vorgeworfen, ihre Tendenzen als politisch gefährlich hingestellt. Dagegen erschien, von Peßnegger und den Bezirksvorstehern der Gemeinde unterzeichnet die Schrift: „Not­gedrungene Selbstverteidigung der freichristlichen Gemeinde in Wien.“ In 47 Paragraphen wird die Verfassung der deutschkatholischen Gemeinschaft wiedergegeben. Das Ungenügen an den bestehenden Kirchen hat die Gründung veranlaßt. Hauptinhalt des freien Christentums ist die religiöse Idee, in Glaubenssachen haben Vernunft und Gewissen die letzte Entscheidung. Weiter schildert die Schrift den Kultus der deutsch­katholischen Gemeinden, der aus Gesang, Predigt und Gebet besteht. Taufe, Konfirmation und Abendmahl ist ihnen das Symbol der Gemeinschaft untereinander und mit Christus. Für die Eheschließung sind ihnen die Staatsgesetze die einzige Norm. Jedoch erhält die Ehe als innigste Lebensverbindung auch eine religiöse Weihe. Die Zusammenkünfte außerhalb des Gottesdienstes dienen der Förderung des Gemeinschaftsgefühles und entbehren jeder politischen Tendenz, die man ihnen stets wieder anlasten will. Diese Schrift fand weite Verbreitung und wirkte werbend 1). In ihr eine politische Absicht finden zu wollen, ist schwer möglich. Allerdings zeigt sie den Mangel an positivem religiösen Gehalt des Deutsch­katholizismus. Weil sich aber die Anhängerschaft aus ehemaligen Radikalen und Demokraten zusammensetzte, so wurden die Anschuldigungen betreffs der Verfolgung umstürzlerischer Tendenzen immer wieder vorgebracht und waren in diesen Tagen eine gefährliche Waffe 2). Die ministerielle Kommission hatte sich indessen mit dem Ansuchen der deutsch­katholischen Gemeinde in Wien um Anerkennung und Erlaubnis des Gottesdienstes befaßt. Der Bescheid entspricht der obenerwähnten Geheiminstruktion an die Landesregierungen vom 16. Februar 1849. Über Auftrag des Innenministeriums verständigt die niederöster­reichische Statthalterei den Vorstand der deutschkatholischen Gemeinde, Herrn Theodor Peßnegger, von der ministeriellen Entscheidung 3): Die Deutschkatholiken können noch nicht als Religionsgemeinschaft anerkannt werden, wohl aber nach § 1 des Patentes vom 4. März 1849 als Verein mit gewöhnlichen Vereinsrechten. Die einer Konfession zustehenden Rechte können ihr aber noch nicht gewährt werden. Betreffs der Beerdigungen wird auf eine schon ergangene Weisung vom 6. August 1849 hingewiesen, wonach solche ohne kirchliche Einsegnung, aber in aller Stille ohne jedes Gepränge stattfinden dürfen. Eine Regelung betreffs Eintragung von Geburten, Trauungen und Sterbefällen sowie über die Bedingung einer gültigen Eheschließungsform für die Deutschkatholiken wird in Aussicht gestellt. Inzwischen nahmen die Vorstände der Gemeinde doch Kulthandlungen vor. Deutsch­katholische Taufen wurden dem erzbischöflichen Ordinariat gemeldet aus den Pfarren Hernals, Schottenfeld und „Unter den Weißgerbern“ 4). Die Statthalterei gibt dem Wunsche Ausdruck, das Ministerium für Kultus möge eine Regelung treffen. Die Hebammen und Totengräber sollten beauftragt werden, jeden Geburts- oder Sterbefall von Deutschkatholiken dem katholischen Seelsorger zu melden, damit er die Eintragung in die Matriken vornehme. Eine neue Anzeige über vorgenommene Taufhandlungen „nach deutschkatholischem Brauche“ in der Familie eines Goldarbeiters Thomas Sc hei dl5) bewirkte die Weisung der Statthalterei an die Wiener Stadthauptmannschaft und die Polizeikommissariate, die Deutschkatholiken seien strenge zu verwarnen, daß bei solchen rituellen Funktionen jede x) WKZ., Nr. 70, vom 10. Juni 1850 sagt, daß diese Broschüre bei Krämern und Lebensmittelhändlern der Vorstädte, wo das Proletariat verkehre, vielfach verbreitet werde. 2) WKZ., ebendort, und Nr. 68, vom 6. Juni 1850: Wir halten das Ministerium für weise genug, die Kommunisten auch in ihrer religiösen Umhüllimg zu erkennen. 3) Zuschrift der niederösterreichischen Landesregierung an den Vorstand Peßnegger vom 14. Februar 1850. 4) Anzeige des Konsistoriums an die Statthalterei vom 18. Dezember 1850. 5) Akten des niederösterreichischen Landesarchivs Z. 43244/51, Z. 18674/51 und Z. 51641/51.

Next

/
Thumbnails
Contents