Leo Santifaller: Ergänzungsband 2/2. Festschrift zur Feier des 200 jährigen Bestandes des HHStA 2 Bände (1951)

VI. Kirchengeschichte - 63. Andreas Posch (Graz): Die deutsch-katholische Gemeinde in Wien

Die deutsch-katholische Gemeinde in Wien. 275 daß die Zahl der Deutschkatholiken in Wien schon 3000 beträgt und noch ständig wächst. Er verwahrt sich zugleich gegen die Unterstellung politischer Bestrebungen. Bald darauf bittet die freie christliche Gemeinde in Wien, den Gottesdienst in einem anständigen Privatlokal halten zu dürfen x). Allein auch diese Bitte wurde abgewiesen, das Ministerium antwortet, daß trotz der gesetzlichen Religionsfreiheit die früheren Verfügungen betreffs der Deutschkatholiken, also das Verbot vom 24. Jänner 1846 aufrecht bleibe, bis es auf legalem Weg widerrufen sei. Daher wird das niederösterreichische Landespräsidium ange­wiesen, der deutschkatholischen Gemeinde im Wege des Wiener Gemeinderates eröffnen zu lassen, daß ihr einstweilen wieder eine Kirche überwiesen, noch auch ein Gottesdienst in einem Privatlokal erlaubt werden könne 2). Zweifellos stand die Berufung auf ein Verbot aus der absolutistischen Ära in Widerspruch mit dem Sinn der Grundrechte und der Konstitution des Jahres 1848. Das fühlte auch die Regierung selbst, und deshalb erfloß eine geheimzuhaltende Instruktion des Innenministers an die Landesregierungen: Die Bestimmung vom 24. Jänner 1846 betreffs der Deutschkatholiken steht nicht im Einklang mit den Prinzipien einer freisinnigen, konstitutionellen Regierung und kann nicht mehr in vollem Umfang aufrechterhalten werden. Solang aber keine neuen Bestimmungen ergehen, sind solche Gemeinden nach den Grundsätzen des Assoziationsrechtes zu behandeln, ohne ihnen jedoch das Recht einer anerkannten Konfession (also z. B. Gottesdienst und kirchliche Lokale) zuzuerkennen 3). Dieses teilweise Zurückweichen der Behörden — auch die Aus­weisung des Grazer Predigers Karl Scholl wurde mit 9. Februar 1849 zurückgenommen — hängt mit dem Eintreten Schuselkas zusammen, der im Reichstag zu Kremsier zugunsten der Deutschkatholiken interpellierte 4). So fanden nun doch auch in Wien Zusammenkünfte der Deutschkatholiken statt, die ein gottesdienstliches Gepräge trugen. Der Bankbeamte Theodor Peßnegger war Vorstand, der ehemalige Benediktiner Wagner als Nachfolger Paulis Prediger der Gemeinde 5). Als der Reichstag von Kremsier aufgelöst und mit 3. April 1849 eine neue Verfassung oktroiert worden war, spiegelte sich dieser Wechsel der Dinge in einer schärferen Behandlung der Deutschkatholiken wieder. Die Wiener Gemeinde bat neuderdings um Anerkennung und Erlaubnis zur Abhaltung des Gottesdienstes 6). Sektionschef Buol referierte darüber an den Minister für Kultus und Inneres und schlägt die Bildung einer Untersuchungs­kommission vor 7). Damit war die Erledigung auf unbestimmte Zeit hinausgeschoben. Bei der geänderten politischen Lage waren die Bemühungen der Deutschkatholiken um Anerkennung ohne Erfolg. Übrigens zeigte jetzt die Wiener Gemeinde weniger Zähigkeit und Zusammenhalt als die kleinere, aber straffer organisierte Gemeinde von Graz 8). Besonders drückend empfanden es die Deutschkatholiken, daß ihnen alle gottesdienstlichen Funktionen unmöglich gemacht waren. Am 31. Mai 1849 ersucht die Wiener Gemeinde, wenigstens ihre Leichen ohne kirchliche Einsegnung bestatten zu dürfen. Die Taufe von Kindern unterblieb oder wurde von den Vorständen der Gemeinde gegen das Verbot vorgenommen. In einer einzigen Häusergruppe entdeckte die Polizei 21 „Wilde Ehen“, d. h. Ehen von Deutsch­katholiken, die erklärten, daß ihre religiöse Einstellung einer kirchlichen Trauung widerstrebe und daß ihnen eine andere Eheschließungsform verwehrt sei 9). x) Petition an das Ministerium für Inneres vom 10. Dezember 1848. 2) Ministerialschreiben an das Landespräsidium vom 20. Dezember 1848. 3) Instruktion des Ministeriums für Inneres vom 16. Februar 1849. 4) S. Schuselka, Das Revolutionsjahr 1848/1849, S. 331. 5) Schuselka, ebendort, nennt Wagner einen „trefflichen Prediger“. 8) Eingabe an das Innenministerium vom 28. März und 30. April 1849. 7) Referat vom 1. Mai 1849. 8) Siehe Posch A., Die deutschkatholische Bewegung in Steiermark, Jahrbuch der österreichischen Leo-Gesellschaft, 1928, S. 72 ff. 9) WKZ., Nr. 86, 1849.

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