Leo Santifaller: Ergänzungsband 2/2. Festschrift zur Feier des 200 jährigen Bestandes des HHStA 2 Bände (1951)
VI. Kirchengeschichte - 63. Andreas Posch (Graz): Die deutsch-katholische Gemeinde in Wien
274 Posch, demselben anschließen*). Die katholische Kirche könne das Vordringen des Deutschkatholizismus, der durch seine Einfachheit die Wiener anzieht, aufhalten, wenn sie selbst zur Einfachheit zurückkehrt und die Scheidewand zwischen Priester und Laien niederreißt, Klöster, Priesterzölibat und Beichte abtut 2). Letzteres sind Gedanken Hirschbergers, die er in seinen ersten Versammlungen entwickelt hatte, wo er unter anderem auch eine Synodalverfassung der Kirche forderte. In der ,,Wiener Kirchenzeitung“ schrieb der bekannte Theologe Karl Werner eine Artikelserie gegen den Deutschkatholizismus und suchte dessen theologische und philosophische Unhaltbarkeit darzutun 3). Dasselbe Organ greift Ronge und seine Vorkämpfer auch persönlich an: ,,Ein paar verkommene Literaten waren in Wien die Vortrompeter des Deutschkatholizismus, die weder mit der Taufe des Christentums noch mit der Taufe der Wissenschaft getauft waren.“ Am 17. September sprach Ronge selbst im Odeon in Wien. Der Versammlungssaal war geschmückt, weißgekleidete Mädchen bildeten Spalier, auch gegnerische Stimmen heben Ronges rednerische Begabung hervor. Er sprach zunächst vom göttlichen Funken der Vernunft, die nun die religiöse Führung übernehme. Dann erging er sich in Ausfällen gegen Glaubenszwang, Unterdrückung der freien Forschung, Hierarchie usw. 4). Die radikale Presse äußerte sich warm, ja begeistert. „Dieser Priester der Wahrheit und Liebe, dieser unerschrockene Glaubensheld wurde mit gläubiger Sehnsucht erwartet. Seine Gemeinde zu vielen Tausenden lauschte in gläubiger Andacht. Seine Rede atmete den Geist der Liebe, der Versöhnung, des reinen Christentums. Mit zu Gott erhobenem Gemüte verließ die Schar der Gläubigen den Tempel des Herrn“, schreibt eine Zeitung 5). Mit Datum vom selben Tage richten die erwählten Vorstände der deutschkatholischen Gemeinde eine Eingabe an das Ministerium des Innern, worin sie ihre Konstituierung unter dem Namen „Freie christliche Gemeinde“ anzeigen. Zugleich ersuchen sie um Zuweisung einer Kirche für die Abhaltung des Gottesdienstes sowie zur Feier von Taufe, Abendmahl und Ehe. Sie schlagen die früher von den Ligurianern benützte Kirche Maria am Gestade oder die Minoriten- oder die Schwarzspanierkirche vor. Die Gemeinde zählt schon 2000 Mitglieder, wächst ständig an und die Befriedigung des religiösen Bedürfnisses ist für die Sittlichkeit nicht gleichgültig. Unterschrieben sind als Vorstandsmitglieder u. a. der Hofzimmermeister Jakob Fellner aus der Roßau, der Reißzeugfabrikant Johann Winnheim, ein Doktor med. Josef Nadler, der Bankbeamte Theodor Peßnegger, der später als Vorstandsobmann hervortritt, und als Prediger Hermann Pauli. Diese Bitte wird vom Innenministerium abschlägig beschieden6). Es steht gewiß jedermann frei, Vereinigungen verschiedener Art anzugehören. Aber weil es sich hier um eine neue Konfession handelt, so kann die Anerkennung erst gegeben werden, wenn die konfessionelle Frage durch die Konstitutionsakte geregelt sein wird, daher wird die neue Gemeinde zunächst nur als ein durch die Assoziation erlaubter Verein anerkannt. Die Zuweisung einer Kirche würde der Anerkennung vorgreifen und diese wiederum liegt nicht in der alleinigen Kompetenz des Innenministeriums. Auch ist noch abzuwarten, wie überhaupt das Verhältnis des Staates zu den Kirchen geregelt werden wird. Die Gemeinde hielt hierauf ihre Zusammenkünfte im Musikvereinssaal, aber dieser wurde bald von dem konstitutionellen-monarchischen Verein gepachtet, dadurch wurden die Deutschkatholiken auch von hier verdrängt. Peßnegger, inzwischen zum Obmann gewählt, wandte sich wegen Beistellung eines Lokals an den Wiener Gemeinderat 7). Er bemerkt, x) Ebendort, Nr. 36, vom 31. August 1848. 2) Ebendort, Nr. 36, vom 31. August 1848. 3) WKZ., Nr. 30, 1848 ff. 4) WKZ., Nr. 77, vom 26. September 1848. 5) „Der Freimütige“ vom 19. September 1848. Auch die offizielle „Wiener Zeitung“ nennt das Auftreten Ronges eine Tat. 6) Zuschrift des Ministerium des Inneren an den Vorstand der freichristlichen Gemeinde in Wien zu Händen Herrn Fellners vom 23. September 1848. 7) Eingabe vom 23. Oktober 1848.