Leo Santifaller: Ergänzungsband 2/2. Festschrift zur Feier des 200 jährigen Bestandes des HHStA 2 Bände (1951)

VI. Kirchengeschichte - 63. Andreas Posch (Graz): Die deutsch-katholische Gemeinde in Wien

Die deutsch-katholische Gemeinde in Wien. 273 deutlicher: „Was geht uns noch ab ? Ein Religionskrieg ? Die Herren Pauli und Hirschberger mögen tüchtige Köpfe sein, aber jetzt ist keine Zeit für religiöse Kämpfe. Die Religions­prediger sollen jetzt den Politikern das Feld räumen. Auch ist es bedenklich, über Nacht eine Religion ändern zu wollen, die wir mit der Muttermilch eingesogen haben.“ Wieder ein anderes Flugblatt warnt vor der zersetzenden, nur negierenden Art Paulis, der die ganze Bibel verwirft. Entweder kennt Pauli die deutschkatholische Bewegung nicht oder es muß diese selbst ein Unsinn sein, wenn sie sich mit den Ausführungen Paulis deckt. Dies will das Flugblatt nicht annehmen, denn Ronge wird doch überall begeistert aufgenommen. Die Wiener mögen ihn anhören, wenn er kommt. Ist er ein Pauli, dann können es sich die katholischen Priester ersparen, auf den Kanzeln gegen ihn zu predigen, bei der Unmöglichkeit einer solchen Religion ist er ungefährlich. Hirschberger, der am 13. September 1848 exkommuniziert worden war, trat bald von der Bewegung zurück, veröffentlichte im August 1849 in der „Wiener Zeitung“ einen Widerruf und ersuchte um Wiederaufnahme in die katholische Kirche 1). Pauli fungierte zwar in der deutschkatholischen Gemeinde in Wien zunächst als Prediger. Als aber mit der politischen Reaktion auch die Unterdrückung der Sekte begann, wurde er in der Wohnung seiner Mutter, der Kammerdienerswitwe Franziska Pauli am 14. April 1849 verhaftet2). Es wurde ihm vorgeworfen, er habe während des Ausnahme­zustandes seine Werbetätigkeit für die Sekte fortgeführt, gottesdienstliche Funktionen ausgeübt und eine schlechte politische Gesinnung an den Tag gelegt. Auf Bitten des Erzbischofs Milde wurde Pauli zunächst ins Allgemeine Krankenhaus, später ins Versorgungs­haus nach Ybbs gebracht. Als Ergebnis der Untersuchung stellte sich heraus, daß er wohl für den Deutschkatholizismus geworben und einige gottesdienstliche Handlungen vorgenommen habe, aber schlechte politische Gesinnung konnte ihm nicht nachgewiesen werden. Daher wird die gerichtliche Verfolgung eingestellt, besonders, da sich bei ihm Zeichen geistiger Zerrüttung zeigen. Immerhin gilt er als Verbreiter einer gefährlichen Sekte für ein bedenkliches Individuum, daher soll er nicht freigelassen, sondern in ein Defizientenheim gebracht werden 3). Waren diese Vorarbeiter Ronges somit durchaus keine überragenden Persönlichkeiten, so bereiteten sie doch den Boden für eine deutschkatholische Gemeindegründung in Wien. Eine Begrüßungsadresse der Deutschkatholiken von Worms gibt der Freude Ausdruck, daß die Wiener, wo früher ein Staatsmann von mitternächtiger Verschmitztheit alle Deutschen knechtete, das Joch der Priesterherrschaft abwerfen. „Tausende seid ihr, mögt ihr bald Millionen sein, der Geist eures Josef möge wachsen, höher als die Firnen eurer Alpen.“ Mit hochgespannten Erwartungen sahen die Wiener, gerade weil Pauli enttäuscht hatte, dem Kommen Ronges entgegen, speziell die studentischen und überhaupt die demokratisch-radikalen Kreise. Die Auslassungen der von einem Juristen Heinisch redigierten „Studentenzeitung“ sind hiefür charakteristisch. Dieselbe schreibt unter dem Titel: „Kein Papst mehr und das Auftreten einer neuen Sonne durch Johannes Ronge“ einen Dithyrambus auf ihn. Christi Lehre sei durch die römischen Päpste verdunkelt worden. Pius IX. wird zwar der „einzige Glanzstern“ unter den Päpsten genannt, aber nun muß die Kirche national und frei werden; was ein schlichter Priester, Johannes Ronge, unter Gefahr und Mühen schon vor Jahren zu verkünden wagte, muß an die Stelle des römischen Kultes treten, der Deutschkatholizismus 4). Ein anderes Mal schreibt dasselbe Blatt, man soll den Deutschkatholizismus prüfen und jene nicht scheel ansehen, die sich b WKZ., Nr. 93, 1849. 2) Auftrag des k. k. Militärgouvemeurs an den Stadthauptmann von Wien vom 8. April 1849. 3) Meldung des Militärgouverneurs an das Ministerium des Innern vom 6. November 1849 und an das erzbischöfliche Ordinariat vom selben Tage. 4) „Wiener Studentenzeitung“, Nr. 31, vom 21. August 1848. 18 Festschrift, II. Band.

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