Leo Santifaller: Ergänzungsband 2/1. Festschrift zur Feier des 200 jährigen Bestandes des HHStA 2 Bände (1949)

IV. Quellen und Quellenkunde - 44. Oskar Regele (Wien): Die Geschichtsschreibung im Wiener Kriegsarchiv von Kaiser Joseph II. (1779) bis zum Ende des ersten Weltkrieges (1918)

Geschichtsschreibung im Wiener Kriegsarchiv (1779—1918). 743 ihr so außergewöhnliche Aufgaben gestellt sind, wie es im alten Österreich(-Ungarn) der Fall war. Hier gab es kein Entrinnen, sondern nur ein mutiges Zupacken, ein entschlossenes Entwickeln einer Methode, die in der Synthese zwischen „Empfindung für die Ehre der Wissenschaft“ J) und gesunder Staatsraison zu einer von der Wissenschaft gutgeheißenen Lösung führte. In fast anderthalb Jahrhunderten — von 1779 bis 1918 — entstanden mehr als 300 Bände amtlicher Kriegsgeschichtsschreibung, die für die gewählte Methode sprechen und deren Schöpfern und Verfassern niemand die gebührende Achtung wird versagen können. Die Akademie der Wissenschaften in Wien hat durch die Wahl des FZM. v. Wetz er zu ihrem wirklichen Mitglied (1899) und des G. d. I. v. Woinovich zu ihrem korrespondierenden Mitglied (1915) dem Wiener Kriegsarchiv ein ehrendes Zeugnis ausgestellt, beide ge­nannten Generale besaßen auch das Ehrenzeichen für Kunst und Wissenschaft. Die Betrachtungen über die Geschichtsschreibung im Wiener Kriegsarchiv bis zum Jahre 1918 haben auch in Gegenwart und Zukunft für das Gesamtproblem der Geschichts­schreibung grundsätzliche Bedeutung. Es war sicher falsch, die allgemeine Geschichte manchmal nur so darzustellen, als bestände sie überhaupt nur im Ablauf von Kriegen und wäre alles andere nebensächlich. Ebenso falsch ist das Bestreben, aus der Geschichte bestimmte Erscheinungen vorsätzlich auszuschalten, wie z. B. den Krieg. Eine Geschichts­darstellung, die den Krieg oder die Religion, die Wirtschaft oder das Recht, die Kunst oder die Philosophie in ihre Betrachtungen nicht einbezieht, hört auf Wissenschaft zu sein und wird zur Propaganda und zur Tendenzgeschichte herabgewürdigt. Der größte Irrtum beruht jedoch im Glauben, die beste Kriegsverhütung wäre das Totschweigen des Krieges in der Geschichte, denn es ist gerade das Gegenteil richtig: nur wer das Problem Krieg und Frieden am klarsten erkennt, vermag am ehesten den Krieg zu verhindern. Die Kriegsgeschichtsschreibung der Vergangenheit hat ein durchaus verwendbares Erbe hinterlassen. Die ausgesprochen strategisch-operativ-taktische, organisatorische, technische und militärwirtschaftliche Kriegsgeschichtsschreibung bleibt nach wie vor die Domäne des Militärhistorikers. Die allgemeine Kriegsgeschichtsschreibung hingegen muß noch viel weitgehender universalisiert werden als es Wetzer am Ausgang des 19. Jahrhunderts angebahnt hatte. Die Militärhistoriker müssen in den allgemeinen historischen Wissens­zweigen noch viel gründlicher geschult werden als es bisher der Fall war, die Zivilhistoriker aber müssen für das Wissensgebiet des Krieges und der Kriegführung akademische Bildungs­möglichkeiten erhalten, wie dies an verschiedenen Hochschulen der Kulturwelt bereits der Fall ist. *) *) „Dienstvorschrift für das k. u. k. Kriegsarchiv“, 1899, Beilage 2, „Über die Verfassung kriegs­geschichtlicher Arbeiten“, S. 57 ff.

Next

/
Thumbnails
Contents