Leo Santifaller: Ergänzungsband 2/1. Festschrift zur Feier des 200 jährigen Bestandes des HHStA 2 Bände (1949)
IV. Quellen und Quellenkunde - 44. Oskar Regele (Wien): Die Geschichtsschreibung im Wiener Kriegsarchiv von Kaiser Joseph II. (1779) bis zum Ende des ersten Weltkrieges (1918)
742 Regele, behandelt werden, daß daher Kriegsgeschichtsschreibung nicht dem Zufalle überlassen werden darf, ob sich gerade ein Historiker nach persönlichem Geschmack ein Thema auswählt, ob das Sensationsbedürfnis nach diesem oder jenem Stoffe ruft, ob ganze Ereignisreihen nur deshalb unbearbeitet bleiben, weil sich der auf Rentabilität eingestellte Büchermarkt ablehnend zeigt. Schließlich ist die Einheitlichkeit der Darstellung dadurch bedingt, daß der Kampf ein einheitliches Handeln verlangt, weil es niemand verantworten könnte, daß im Kriege jeder Kommandant nach eigenem Gutdünken seine Aufträge ausführt, ganz unbekümmert um das unerläßliche Zusammenspiel der aufgebotenen Kräfte. Weil es im Kriege um Menschenleben geht, deshalb muß das Äußerste vorgesorgt werden, damit die Opfer auf das Mindestmaß beschränkt werden und deshalb muß die Armee planmäßig durch Kriegsgeschichtswerke unterrichtet werden. Daß sich in Österreich die geschilderten Richtlinien durch lange Epochen hindurch gleichmäßig entwickeln und stabil behaupten konnten, findet nicht zuletzt seine Erklärung in der Einstellung der Monarchen zur Geschichtsschreibung. Kaiser Joseph II. (1780—1790) war ein nüchterner Wahrheitsfanatiker, er war soldatisch aber nicht militaristisch gesinnt, er war ein Bürger-Soldat, dabei erhaben über alle einfältigen Eitelkeiten der Menschen. Aus dieser Einstellung zu den Dingen erteilte er den Befehl, alles einfach nur so zu schreiben, wie es eben war und nicht anders. Kaiser Franz II. [I.] (1792—1835) war im Grunde genommen ein Zivilist, dem alles fehlte, was man militaristisch nennen könnte, der weder ruhmredig noch sonst irgendwie durch die ihm beschiedene Machtfülle beirrt war. Gewiß konnte er auch unnachgiebig sein und z. B. erklären, er werde dem Korsen nie weichen und sei es, daß er dafür hinter Temesvár eine Schlacht schlagen müßte, als er aber den großen Sieg 1815 unter Dach und Fach hatte, da blieb er der bescheidene Bürger und freute sich des Friedens. Man bedenke nur, was andere Teilnehmer an dem Siege von 1813/15 an Machtrausch, Ruhmespropaganda und Geschichtsfanfaren produziert haben! Auch des Kaisers Bruder FM. Erzherzog Karl war alles eher als ein Förderer überheblicher Geschichtsdarstellung. In seinen eigenen Schriften übte er scharfe Kritik an sich selbst und Oskar Criste1) berichtete darüber folgendes: „Als das erste Manuskript der „Grundsätze der Strategie“ an die Zensurbehörde gelangte, erhob der Zensor gegen die Zulässigkeit des Druckes Bedenken, daß verschiedene Maßregeln und Unternehmungen des Erzherzogs Carl mit einer Strenge beurteilt würden, welche nach den bestehenden Zensurvorschriften der Zulässigkeit zum Drucke entgegenstehen. Der Präsident der Zensurstelle, Freiherr v. Hager, teilte diese Bedenken des Zensors dem Erzherzog persönlich mit, ließ aber dann auf dessen ausdrückliches Ersuchen die vorschriftsmäßige Ermächtigung zu unverändertem Drucke ausfertigen“. Kaiser Franz Joseph I. (1848—1916) setzte diese Reihe in gleicher Weise fort. Auch er war jeder unechten Haltung abhold und als Regent nur nach äußerster Gerechtigkeit strebend. Als der Generalstab die Darstellung des Feldzuges von 1859, in dessen zweitem Teil der Kaiser persönlich Oberkommandant gewesen war, beendet hatte und sich in verschiedenen Kreisen Bedenken regten, dieses Werk erscheinen zu lassen, ließ sich der Kaiser das Manuskript vorlegen, holte das Gutachten des Generals v. John ein und als dieser unbedingt für die Veröffentlichung eintrat 2), verfügte er die Drucklegung. Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß diese geschilderte Haltung der Monarchen weitgehend dazu beitrug, daß sich die österreichische Kriegsgeschichtsschreibung allezeit in den Bahnen der Wahrheit, Korrektheit und einer oft unwahrscheinlichen Selbstkritik bewegte und damit gleichsam automatisch auch den Gesetzen strengster Wissenschaftlichkeit entsprach. Kein Zweig der Geschichtsschreibung muß so vielen Herren dienen wie die Kriegsgeschichtsschreibung, die zweifellos zu den schwerst zu meisternden Disziplinen zählt, wenn 1) „Erzherzog Karl von Österreich“, Wien 1912, 3. Bd., S. 406. 2) Militärkanzlei des Kaisers, Nr. 1659 v. 1875.