Leo Santifaller: Ergänzungsband 2/1. Festschrift zur Feier des 200 jährigen Bestandes des HHStA 2 Bände (1949)

IV. Quellen und Quellenkunde - 44. Oskar Regele (Wien): Die Geschichtsschreibung im Wiener Kriegsarchiv von Kaiser Joseph II. (1779) bis zum Ende des ersten Weltkrieges (1918)

740 Regele, Präsidenten FM. Graf Hadik gerichteten Handbillett vom 22. November 17791), mit welchem die aktenmäßige Darstellung der Feldzüge seit 1740 angeordnet wurde. Die damit beauf­tragten Generalstabsoffiziere hatten sich jedoch im Wesen darauf zu beschränken, eine genaue Ereignis-Chronik und Datensammlung zu schaffen, damit diese für künftige Feldzüge ,,zur nützlichen Kenntnis und Aufklärung“ dienen, ihre Arbeiten waren ausschließlich zum Dienstgebrauch bestimmt, hatten sich eines jeden „Raisonnements“ zu enthalten und sollten auf gründlichen Quellenforschungen basieren. In dieser Beziehung verfügte der Kaiser um bei diesen was Vollkommenes zu erhalten, muß keine Mühe und Nachforschung erspart werden .... Wie ich dann auch an die Reichs- und Staats-Kanzlei den Befehl erlassen werde, das Ihrige bestens beizutragen“. Auf solcher Grundlage arbeitete der General­stab bis 1818, in welchem Jahre dann ein eigenes Generalstabsbüro für Kriegsgeschichte im Kriegsarchiv eingerichtet wurde, das bis 1851 ebenfalls nur interne Arbeiten verfaßte, später jedoch zu gedruckten Veröffentlichungen überging. Das Büro wandelte sich 1876 zur kriegs­geschichtlichen Abteilung des Kriegsarchivs und blieb in dieser Form bis zum Jahre 1914 bestehen, als der Kriegsausbruch die Kriegsgeschichtsschreibung zunächst unterbrach. Das militärwissenschaftliche Zentrum Altösterreichs, das im Jahre 1711 gegründete Wiener Kriegsarchiv, war ein vom Staate unterhaltenes amtliches Institut für Geschichts­schreibung und Länderkenntnis, das auf dem Gebiete der Militärliteratur und zeitweise auch der Kartographie vermöge seiner Monopolstellung bahnbrechend wirkte. Das Kriegsarchiv, das nicht nur allein über die Feldzugsquellen, sondern auch über die zur Forschung unent­behrliche Kartensammlung, Bibliothek und Bildersammlung verfügte, war „das erste Archiv Österreichs und unseres Wissens, auch der Welt, das mit Rücksicht auf bloß wissenschaftliche Zwecke gegründet und weitergeführt wurde . . .“ 2), es war hier die wissenschaftliche Aus­beute von Anbeginn der Hauptzweck und die archivalische Tätigkeit nur die unerläßliche Vorarbeit zu dieser. Nur dem Umstande, daß alle Feldzüge immer sofort nach Friedens- Schluß bearbeitet werden mußten, war es zu danken, daß die ungeheuren Aktenmassen fortlaufend auch archivalisch geordnet wurden, so daß Oswald Redlich das ,,k. u. k. Kriegs­archiv als das bestorganisierte und an wissenschaftlicher Leistung hervorragendste unter den öffentlichen Archiven Wiens“ bezeichnen konnte 3). Neben die Offiziere des Generalstabes traten Ende des 19. Jahrhunderts auch Archiv­offiziere, die das Institut für österreichische Geschichtsforschung absolvierten, hingegen gab es kriegsgeschichtliche Zivilforscher praktisch nicht. Diese dauernde Beschränkung der Kriegsgeschichtsschreibung auf einen verhältnismäßig engen Personenkreis erklärt sich mit der ganzen Eigenart einer amtlichen Geschichtsschreibung. Der Offizier bringt nicht allein das an ihn gebundene Fachwissen mit, er ist auch nach strengsten Standesbegriffen von Ehre, Ritterlichkeit, Wahrheitsliebe und Gerechtigkeit erzogen und an korrekte Kampf­regeln gewöhnt, er nennt somit alle jene Voraussetzungen sein eigen, über die jeder Historiker verfügen muß, der diesen oder jenen Standpunkt verficht. Der Offizier ist weiters der unbedingten Subordination verschrieben, eine Mitvoraus­setzung der amtlichen Geschichtsschreibung, die einheitlich sein muß, wie es Wetzer als Gebot aufstellte: „Die notwendige Einheit des Werkes gestattet es durchaus nicht, daß der einzelne besondere Wege gehe, daß die Aufgabe von dem einen als strategische Studie, von dem anderen als taktisches Lehrbuch, von einem Dritten als polemisch geschriebene politische Geschichte aufgefaßt werde . . .“ 4). Und schließlich verbürgt der Offizier selbst­verständlich am vollkommensten die Geheimhaltung, wo immer diese beobachtet werden muß. So gab es also in Altösterreich ein Monopol der Kriegsgeschichtsschreibung, bedingt x) HKR.-1779-G-9055. 2) Bancalari, „Die Quellen der Kriegsgeschichte“, Wien 1872, S. 18. s) Direktionsakten des KA., Brief Oswald Redlichs vom 20. Juni 1906 an General v.Woinovich. 4) „Programm für die Bearbeitung. .. “

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