Leo Santifaller: Ergänzungsband 2/1. Festschrift zur Feier des 200 jährigen Bestandes des HHStA 2 Bände (1949)

IV. Quellen und Quellenkunde - 44. Oskar Regele (Wien): Die Geschichtsschreibung im Wiener Kriegsarchiv von Kaiser Joseph II. (1779) bis zum Ende des ersten Weltkrieges (1918)

Geschichtsschreibung im Wiener Kriegsarchiv (1779—1918). 739 Verfasser das Gegenteil behaupten könnte. Eine amtliche Geschichtsschreibung muß erst recht die Objektivität an die Spitze der Forderungen stellen, wie es in Österreich auch stets der Fall war. Schon für Rothkirch galt die Wahrheit als das Ziel, er forderte in seinen Direktiven vom Jahre 1819 „rücksichtslose Unparteilichkeit“. Der Chef des Generalstabes Prohaska befahl 1818 1), „eine wohlgeordnete, getreue und ganz unparteiische Darstellung der Kriegsbegebenheiten“, die „Instruktion vom 20. Mai 1860 für das Generalstabsbüro für Kriegsgeschichte“ sagte: „Diese Elaborate müssen sich demnach unabänderlich und rücksichtslos auf kriegswissenschaftlicher Basis bewegen und kein anderes Verdienst als jenes der Wahrheit beanspruchen“ 2), Fischer spricht im Vorwort zur Geschichte des Krieges von 1859 3), von der „Feder, die da kalt und rücksichtslos schmerzliche Ereignisse, so wie sie waren, erzählt“, General von John erwartete von den Bearbeitern des Krieges 1866 die Darstellung eines „vollkommen wahren, objektiven Bildes der bisher wenig auf­geklärten Ereignisse und dabei jedem das Seine an Verdienst und Schuld zu geben“ 4). Woinovich warnt in seinen Direktiven für die „Kriege gegen Frankreich 1792—1815“ 5): ,, .............nicht in einen der größten Fehler eines Geschichtsschreibers, in jenen der Partei­l ichkeit zu verfallen .. .“, ebenso verlangte Wetzer die „denkbar größte Unparteilichkeit“ bzw. „Streben nach Wahrheit, wie nach strenger, sachlicher und würdiger Unpartei­lichkeit ,..“6) und Arz schloß sich hier mit der Forderung an: „Ursachen der Erfolge und Mißerfolge sollen klar zu Tage treten .... Große Sachlichkeit ist geboten“ 7). Wie tief dieses Wahrheitsstreben und diese unbedingte Unparteilichkeit in der österreichischen Kriegsgeschichtsschreibung verwurzelt waren, dafür zeugt auch Conrad’s Werk „Aus meiner Dienstzeit“, in dessen 4. Band (Seite 264) der Marschall bekennt: „Ich habe mir eine Geschichtsschreibung, die Erfolge verherrlicht und Mängel verdeckt, nicht zum Ziele gesetzt. Künftigen Historikern Aufzeichnungen zu hinterlassen, die ihnen die Vorgänge ungeschminkt in nüchterner Nacktheit entrollen, ist meine Absicht, mag dadurch auch mancher Nimbus leiden“. Unter wahrhaftiger Darstellung verstand Conrad hauptsächlich auch jene, die eine „sukzessive Entwicklung der Lage“ im Gegensätze zu einem „im nachhinein konstruierten, abgerundeten Ganzen“ (ebendort) bietet und die schon von Rothkirch8) als Grundsatz aufgestellt wurde: „Der Leser muß die beiden Heerführer und Heere nach ihrer Absicht und der Ansicht, die sie in dem Augenblick von der Lage der Dinge hatten, sich bewegen sehen“. Es handelt sich hier um ein ganz vorzugsweise an die Kriegsgeschichtsschreibung gestelltes Verlangen. Wir müssen uns darüber schlüssig sein, daß Objektivität kein Phantom bedeutet, solange sich die Darstellungen auf rein militärischem Gebiete, wie Organisation, Strategie, Taktik, Kriegstechnik u. dgl. mehr bewegen; daß sie schon weitaus schwieriger erreichbar wird, sobald die Gebiete der Politik einbezogen werden; daß sie jedoch am schwersten zu erkämpfen ist, wenn im Ringen der Völker Fragen wie jene der Kriegsschuld, des Angreifers oder ähnlicher völkerrechtlicher Probleme zur Diskussion stehen. Was bisher über die Kriegsgeschichtsschreibung festgestellt wurde, enthält schon mancherlei Hinweise auf die Organisation derselben im alten Österreich. Hier begann die amtliche Geschichtsschreibung mit dem von Kaiser Jose p h II. an den Hofkriegsrat­*) „Instruktion für das k. k. Kriegsarchiv“ (HKR.-3440 von 1818). 2) Langer, „Geschichte des k. u. k. Kriegsarchivs“, S. 108. 3) „Der Krieg in Italien 1859. Nach den Feldakten und anderen authentischen Quellen bearbeitet durch das k. k. Generalstabsbüro für Kriegsgeschichte“. Wien 1872. 4) Langer, S. 110. 5) Direktionsakten des KA. ZI. 593-1902. ®) „Programm für die Bearbeitung, . . .“ bzw. „Dienstvorschrift für das k. u. k. Kriegsarchiv“ 1899. 7) K.u.k. Armee-Oberkommando — Chef des Generalstabes vom 9. Oktober 1917 bzw. k.u.k. Armee­oberkommando Op.-Nr. 47.599 vom 25. November 1917. 8) „Wie soll man Kriegsgeschichte schreiben ?“

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