Leo Santifaller: Ergänzungsband 2/1. Festschrift zur Feier des 200 jährigen Bestandes des HHStA 2 Bände (1949)

IV. Quellen und Quellenkunde - 44. Oskar Regele (Wien): Die Geschichtsschreibung im Wiener Kriegsarchiv von Kaiser Joseph II. (1779) bis zum Ende des ersten Weltkrieges (1918)

Geschichtsschreibung im Wiener Kriegsarchiv (1779—1918). 737 Standpunkt erkennen und durch Wahrheitsstreben zu einem objektiven wandeln, schreibt Bauer: „Hauptsache dabei ist nur, daß dadurch (nämlich durch subjektive Einstellung) die Wahrheitsliebe nicht zu kurz kommt und wir von Anbeginn über die Weltanschauung des Verfassers nicht im Zweifel gelassen werden *)“. Es wäre also nach diesen Auffassungen weniger jene utopische absolute Objektivität der Geschichtsschreibung anzustreben, als vielmehr planvoll die Fähigkeit zu entwickeln, den Standpunkt des jeweiligen Verfassers jederzeit einwandfrei zu erkennen. Die Rücksichtnahmen der Kriegsgeschichtsschreibung sind aber mit jener auf die Wehrmacht nicht erschöpft. Im alten Österreich(-Ungarn) gab es eine ganze Skala inner­politischer Rücksichtnahmen, durften doch die einzelnen Nationen dieses Reiches in ihren Empfindlichkeiten nicht verletzt werden. Bei der Darstellung des Dreißigjährigen Krieges galt es, auf die Tschechen, bei jener des Räkoczi-Zeitalters und des Jahres 1848 und 1849 auf die Ungarn, Slaven und Rumänen, beim großen Türkenkrieg auf die Polen Rücksicht zu nehmen. Eduard Heller 1 2) berichtet von einem Gespräch zwischen Görgey und Deák, in welchem ersterer bat, es möge doch endlich klargestellt werden, daß die Kapitulation von Világos angesichts der gegnerischen Übermacht nicht zu umgehen war, und letzterer antwortete: „Das ist richtig, aber als Magyaré muß ich unbedingt darauf halten, daß die Ungarn im Glauben bleiben, sie seien durch Verrat zu Boden geworfen worden. In Ihrem Patriotismus müssen Sie die Genugtuung für das Opfer suchen, welches Sie durch das Entsagen auf persönliche Rehabilitierung dem Vaterlande bringen.“ In diesem Falle wurde der Geschichte wohl schon stark Gewalt angetan und in einem ähnlichen Falle, als nämlich der Kriegsminister FZM. v. Schönaich historische Arbeiten von Offizieren über General Görgey verbot, fand Emil v. Woinovich den Mut, darauf zu melden: „Die historische Forschung ist, wie jede Wissenschaft, fortgesetzten Wandlungen unterworfen; neue Quellen ergeben neue Gesichtspunkte, diese wieder neue Urteile. Diese wissenschaftliche Betätigung durch politische Erwägungen zunichte machen zu wollen, hieße den letzten Rest von Selbstvertrauen gewaltsam entfernen 3)“. Zu den innerpolitischen gesellten sich so manche außenpolitische Rücksichtnahmen. Im Dreibund mußte Italien geschont werden und auch Preußen-Deutschland gegenüber war Zurückhaltung geboten, wenn es sich um die Darstellung der vielen Kriege mit diesem Nachbar handelte. Das Werk über den Feldzug vom Jahre 1859 mußte vom Kriegs­archiv dem Reichskanzler Graf Beust vorgelegt werden, der einige Stellen des Werkes mit Rücksicht auf die Außenpolitik einer Abänderung unterzog4), Wetzer forderte 5) sachliche Darstellung, doch „ohne anderen Orts zu verletzen oder eine politische Rücksicht unbeachtet zu lassen“. Als im Jahre 1914 Deutschland die Inangriffnahme kriegsgeschicht­licher Darstellungen anregte und Österreich-Ungarn daher nicht Zurückbleiben konnte, drang Conrad darauf, daß kriegsgeschichtliche Arbeiten — die dem Ministerium des Äußeren vorzulegen waren — nur in gegenseitigem Einvernehmen der Verbündeten erfolgen sollen, um Unstimmigkeiten zu vermeiden 6), und als die Geschichtsschreibung über den Weltkrieg im Jahre 1917 schon sehr konkrete Formen angenommen hatte, verfügte der letzte Chef des Generalstabes, Generaloberst von Arz 7), hinsichtlich der verbündeten Staaten: ,,Nur eine sehr maßvolle Kritik ist zulässig.“ Doch nicht nur in Einzelfällen, sondern grundsätzlich war in Österreich(-Ungarn) die Kriegsgeschichtsschreibung von den verantwortlichen Faktoren gewollt in solche Formen 1) „Einführung“, S. 91. 2) „Kaiser Franz Joseph I.“, Wien 1934, S. 71. 3) Direktionsakten des KA. ZI. 157/1908. 4) Akten der Militärkanzlei des Kaisers, 1872. 6) „Programm für die Bearbeitung . .. “ 8) Direktionsakten des KA. ZI. 725/2 vom 12. November 1914. 7) K. u. k. Armee — Oberkommando, Op.-Nr. 47.599 vom 25. 11. 1917. 47

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