Leo Santifaller: Ergänzungsband 2/1. Festschrift zur Feier des 200 jährigen Bestandes des HHStA 2 Bände (1949)
IV. Quellen und Quellenkunde - 44. Oskar Regele (Wien): Die Geschichtsschreibung im Wiener Kriegsarchiv von Kaiser Joseph II. (1779) bis zum Ende des ersten Weltkrieges (1918)
734 Regele, Der allgemeine Wunsch geht wohl dahin, daß sich der Historiker gegebenenfalls des Fachmannes bediene, dieser sich aber bei historischen Arbeiten an die historisch-wissenschaftlichen Methoden halte. In diesem Sinne hat auch Julius von Ficker x) entschieden: ,,Das einzig Richtige dürfte hier wie in entsprechenden Fällen sein, wenn beide sich zu unterstützen und zu ergänzen, durch Zusammenwirken ein möglichst gesichertes Ergebnis zu erreichen suchen . . . ,daß zumal bei der Kriegsgeschichte des Mittelalters nicht bloß der Historiker vom militärischen Fachmanne zu lernen hat, sondern daß es da recht viele Dinge gibt, bei welchen auch das umgekehrte Verhältnis zutreffen kann 1 2).“ Die militärische Kriegsgeschichtsschreibung hat es mit ganz eigenartigen Widerwärtigkeiten zu tun. Im allgemeinen ist das Kriegsereignis viel zu viel mit allen nur denkbaren staatlichen und soziologischen Vorgängen verknüpft und daher dem einzelnen nicht leicht erkennbar, es ist aber auch hinsichtlich der Gegenseite nur im Laufe langer Zeiten aufhellbar. Der Ablauf der Kampfereignisse selbst ist derart unüberblickbar, daß es sogar den unmittelbaren Kampfteilnehmern oft unmöglich ist, den Ereignisablauf zutreffend wiederzugeben. Viele Zeugen fallen aus, die seelischen Beeinflussungen verzerren die Eindrücke, die Last der Verantwortung läßt vieles verändert erscheinen. Der Sieger sieht die Dinge anders als der Besiegte, der alle geheimen Befehle kennende Vorgesetzte anders als der nur nach Teilbefehlen handelnde Untergebene. Und wer sich einmal gewissenhaft damit befaßt, die Komponenten von Erfolg oder Mißerfolg bis an ihre Wurzeln aufzudecken, der wird erst recht erkennen, wie ungeheuer mühevoll es ist, Kriegsgeschichte zu schreiben. Wieviel der Schuld an Königgrätz fällt z. B. endgültig auf den FZM. von Benedek und wieviel auf das österreichische Parlament, das in den Jahren 1860 bis 1865, also unmittelbar vor der großen Doppelauseinandersetzung mit Preußen und Italien, das österreichische Heer durch Verminderung des Wehrbudgets von35’7% aufbloß 18‘6% einem radikalen Abbau unterworfen und den Gegnern gegenüber in eine verhängnisvolle zahlenmäßige und materielle Unterlegenheit versetzt hat ? In der Kriegsgeschichtsschreibung gibt es eine private und eine amtliche Geschichtsschreibung. Ersterer sind keine besonderen Schranken auferlegt, sie kann dem Gesetze freier Darstellung nach Belieben folgen — es sei denn, daß die Quellen bis zu einem gewissen Grade verschlossen sind. Die private Kriegsgeschichtsschreibung kennt — soweit sie von Rang ist — keinen anderen Zweck als den der absoluten Aufklärung bestimmter Ereignisse nur um der historischen Darstellung Willen, sie kann sich dabei auch weltanschaulich oder parteimäßig unbeeinflußt orientieren. Ganz anders verhält es sich mit der amtlichen Kriegsgeschichtsschreibung, der neben der abstrakten Forschung und Darstellung ein bestimmter Zweck gesetzt ist. Sie hat außerdem Rücksichten zu beobachten, die von der Allgemeinheit diktiert sind und die das Staatsinteresse verlangt, sie muß daher sowohl der Wissenschaft als auch dem Staate dienen. Eine zivilamtliche Geschichtsschreibung gibt es selten, will man nicht amtliche Aktenpublikationen hieher einreihen. Zweck und Rücksichtnahme — das sind also zwei der amtlichen Kriegsgeschichtsschreibung vornehmlich anhaftende Kennzeichen, gegen die so manche Historiker Stellung nehmen. ,,Das Wesen der Geschichte beruht einzig und allein in der Wahrhaftigkeit . .. in dem Erfordernis, durch die Geschichte den Patriotismus zu beleben“ liege eine Gefahr für die Erziehung, sagt Ban calari 3), der somit alles Zweckhafte ablehnt. 1) „Mitteilungen des Institutes für österreichische Geschichtsforschung”, IV. Bd., Innsbruck 1883, S. 564 und 571. 2) Als Vorbild solcher Zusammenarbeit gilt mit Recht auch der „Schlachtenatlas zur antiken Kriegsgeschichte“ (Leipzig 1922), den Prof. Dr. J. Kromayer gemeinsam mit Oberst Dr. G. Veith, nach dessen Tod mit Oberstleutnant Dr. E. v. Nischer, beide vom Wiener Kriegsarchiv, herausgegeben hat. 3) „Quellen der österreichischen Kriegs- und Organisationsgeschichte nebst einem Anhang über die Aufgabe der militärischen Geschichtsschreibung und ihre Methode“ in „Beiträge zur Geschichte des österreichischen Heerwesens“, Wien 1872, 2. Heft.