Leo Santifaller: Ergänzungsband 2/1. Festschrift zur Feier des 200 jährigen Bestandes des HHStA 2 Bände (1949)
IV. Quellen und Quellenkunde - 44. Oskar Regele (Wien): Die Geschichtsschreibung im Wiener Kriegsarchiv von Kaiser Joseph II. (1779) bis zum Ende des ersten Weltkrieges (1918)
Geschichtsschreibung im Wiener Kriegsarchiv (1779—1918). 733 standen ist und aus verschiedenen Ursachen einen anderen Entwicklungsweg nehmen mußte als die allgemeine Geschichtsschreibung. Wilhelm John1), der verdiente langjährige Direktor des Wiener Heeresmuseums, hat den Ursprung der Kriegsgeschichtsschreibung untersucht und festgestellt, sie sei nicht aus der allgemeinen Geschichtsschreibung hervorgegangen, sondern neu entstanden: „Nicht von dem großen Gebiete der Geschichtswissenschaft infolge der Erkenntnis, daß die Loslösung dieses Zweiges eine intensivere Behandlungsweise und damit dem Ganzen größeren Nutzen ermöglicht, hat sich die Kriegsgeschichte abgelöst, sondern von außen her, von nicht bodenständigem Gebiete hat ihre Entwicklung den Anfang genommen“ und 2) „Nicht aus dem Kreise jener Männer, welche die Träger der wissenschaftlichen Entwicklung waren, sondern aus dem Soldatenstande sind die ersten kriegsgeschichtlichen Leistungen hervorgegangen.“ Zuerst war nämlich Kriegsgeschichte vorwiegend ein Lehrgegenstand des Militärs ohne nähere Beziehung zum Zivil, sie war ausgesprochene Zweckgeschichte und solche konnte nur vom Soldaten geschrieben werden, denn der Außenstehende war nicht Fachmann. Die Quellen der Kriegsgeschichte unterlagen ferner immer der strengsten Geheimhaltung, so daß sie wieder nur dem Soldaten offenstanden. Aus Gründen der Landesverteidigung durfte sie nicht Gegenstand freier Forschung und noch weniger freier Darstellung sein, so daß ihr hiedurch ganz eigene Wege vorgeschrieben waren. Gleich am Beginn der österreichischen Kriegsgeschichtsschreibung übertrug diese Kaiser Joseph II. im Jahre 1779 den Offizieren des Generalquartiermeisterstabes und Kaiser Franz I. bestimmte 1810: „Die Bearbeitung der Kriegsgeschichte bleibt die Obliegenheit des Generalquartiermeisterstabes“ 3). Bei dieser Regelung blieb es bis in den ersten Weltkrieg, wobei jederzeit das Wiener Kriegsarchiv als Forschungs- und Arbeitsstätte diente. Die häufigen Erörterungen darüber, wie sich Historiker und Fachmann zu ergänzen hätten, wobei unter „Historiker“ der berufliche Geschichtsforscher und -darsteiler, unter „Fachmann“ jedoch der studierte Vertreter eines der unzähligen bestehenden Wissensgebiete verstanden sein wollen, ließen auch die Kriegsgeschichtsschreibung nicht unberührt, offenbar kann der Historiker nicht alle Wissensgebiete beherrschen, ebenso klar ist es, daß nicht jeder Fachmann ohne weiteres Geschichte richtig schreiben kann. Bernheim verlangt Zusammenarbeit und sagt: „...historisch gebildete Fachleute und fachmäßig gebildete Historiker begegnen sich neuerdings immer häufiger in der Erforschung der Kulturelemente“ 4). Wilhelm Bauer schreibt über den allgemeinen und den Kriegshistoriker 5): „Dem Historiker steht zwar in letzterer Hinsicht (nämlich hinsichtlich Quellen ver Wertung) reichere Erfahrung zu Gebote, doch fehlt ihm dafür das eigentliche Fachlich des Offiziers . . . “, ... Schels erklärt in dieser Beziehung 6): „Nur in wenigen Fällen kann es einem seltenen Talente gelingen, eine gediegene Geschichte von einem Gegenstände zu schreiben, der nicht unmittelbar in das Fach seiner eigenen Studien oder seiner Lebensbeschäftigung gehört. Im allgemeinen kann man annehmen, daß ein hochgebildeter Kaufmann die Geschichte des Handels, der Rechtsgelehrte jene der Justiz, der Geistliche jene der Religion, der Diplomat jene der Politik, der Militär jene der Kriege am besten zu schreiben wissen werden.“ Rothkirch steht auf dem Standpunkte 7), Kriegsgeschichte könne nur von einem Krieger — doch nur von einem historisch und allgemein gebildeten — geschrieben werden, trotzdem solle grundsätzlich niemand anderer in Kriegsfragen Laie sein. M „Zwei Quellen zur Geschichte der k. u. k. Armee aus dem Beginn des 19. Jahrhunderts“ in „Mitteilungen des k. u. k. Heeresmuseums“, Wien 1903, 2. Heft, S. 66 ff. 2) ebendort. 3) KA. — HKR. — 1810-G-1959-1-156/15. 4) „Lehrbuch....“, S. 632. 5) „Einführung....“, S. 126. 6) „Über Geschichte, besonders Kriegsgeschichte — ihre Quellen und Hilfswissenschaften“ in ÖMZ.- 1835, Heft 1, S. 309-J. B. Schels, Oberstleutnant, war Historiker und 1818—1847 Redakteur der ÖMZ. 7) „Wie soll man Kriegsgeschichte schreiben?“ In ÖMZ.-1835-II-1, S. 146 und 157.