Leo Santifaller: Ergänzungsband 2/1. Festschrift zur Feier des 200 jährigen Bestandes des HHStA 2 Bände (1949)

IV. Quellen und Quellenkunde - 44. Oskar Regele (Wien): Die Geschichtsschreibung im Wiener Kriegsarchiv von Kaiser Joseph II. (1779) bis zum Ende des ersten Weltkrieges (1918)

732 Die Geschichtsschreibung im Wiener Kriegsarchiv von 1779 (Kaiser Joseph II.) bis zum Ende des ersten Weltkrieges (1918). Wenn im Zusammenhänge mit dem Wiener Kriegsarchiv von Geschichtsschreibung die Rede ist, dann handelt es sich selbstverständlich um Kriegsgeschichtsschreibung, also um jenen Sonderzweig der historischen Wissenschaften, der noch keinen klar umrissenen Begriff darstellt und der noch der eindeutigen Einordnung in die Gesamt-Geschichts­schreibung harrt. Die Kriegsgeschichtsschreibung kann sich auf die Darstellung einzelner Kampf­handlungen (Gefechte, Schlachten, Belagerungen), einzelner Feldzüge oder aber einzelner Kriege erstrecken. Während die beiden ersten Arten fast rein militärischen Charakter tragen, greift die Darstellung eines ganzen Krieges weit über das Militärische hinaus. Es hat gewiß Zeiten gegeben, in denen sich die Kriegführung hauptsächlich nur auf außenpolitischem und militärischem Gebiete abspielte, es gibt aber auch Epochen — und wir sind eben mitten in einer solchen —, in denen die Kriegführung eine universelle ist. Im 19. und 20. Jahr­hundert haben die allgemeine Wehrpflicht, die Demokratisierung der Verfassungen und die Universalisierung (Totalisierung) des Krieges diesen neuerlich zu einer Gesamtangelegenheit von Staat und Volk gemacht und die Kriegführung ist neben der außenpolitischen und mili­tärischen eine innenpolitische, eine geistige, technische und wirtschaftliche — nach dem Statut der Vereinten Nationen seit 1945 eine allstaatliche — Angelegenheit geworden, wobei das Mili­tärische bei all seiner unveränderten Bedeutung nicht einmal immer das ausschlaggebende Moment sein muß. So gelangte die Kriegsgeschichtsschreibung zu großer Vielseitigkeit und schon im alten Österreich mußte dieser sich fortschreitend aufdrängenden Tatsache Rechnung getragen werden. Ernst Bern he im l) reiht die Kriegsgeschichtsschreibung — die er übrigens nur indirekt berührt — in die spezialisierte Geschichtsschreibung (politische, Staaten-Geschichte) ein, Wilhelm Bauer2) nimmt eine Einteilung der Geschichte nach „politischen Erscheinungs­formen“ vor, unter welche die Kriegsgeschichte fällt und von der er sa.gt: „Ein großer Teil der politischen Geschichte überhaupt wird von ihr verschlungen.“ Wie die Kriegführung ein Teil der Politik ist, so ist die Kriegsgeschichtsschreibung der politischen Geschichtsschreibung zuzurechnen. Daß die Kriegsgeschichtsschreibung im Rahmen der allgemeinen Geschichtsschreibung noch keinen festverankerten Platz gefunden hat, erklärt sich damit, daß sie zu lange abseits ge­Von Oskar Regele (Wien). Im Texte vorkommende Abkürzungen: FM. — Feldmarschall FMLt. = Feldmarschall-Leutnant FZM. = Feldzeugmeister Freih. — Freiherr G.d.I. = General der Infanterie HKR. = Hofkriegsrat k. k. = kaiserlich-königlich k.u.k. — kaiserlich und königlich KA. = Kriegsarchiv ÖMZ. = Österreichische Militärische Zeitschrift x) „Lehrbuch der historischen Methode imd der Geschichtsphilosophie“, Leipzig 1903. 2) „Einführung in das Studium der Geschichte“, Tübingen 1928.

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