Leo Santifaller: Ergänzungsband 2/1. Festschrift zur Feier des 200 jährigen Bestandes des HHStA 2 Bände (1949)

IV. Quellen und Quellenkunde - 34. Anna Hedwig Benna (Wien): Iurisprudentia medii aevi: eine Handschrift der deutschen Bearbeitung des Ordo „Antequam“

516 Benna, fasser dieses ordos sein konnte. Der ordo Antequam x) ist nicht ohne literarische Vorlagen entstanden, Rockinger und Wahrmund * 2) haben in dem Ordo Tancreds das Handbuch erkannt, das der Anonymus zur Abfassung seines Studienbehelfs — denn als solches ist es nach den Bemerkungen im Text3) und seiner ganzen Anlage nach zu betrachten — benützt hat. Tancreds ordo weist drei verschiedene Redaktionen auf. Die erste entstand nach 1216 unter Benützung der Sammlung des Alanus und der compilatio I, II, III. Eine Überarbeitung unter Benützung der compilatio IV ist etwa nach 1225 vollendet worden; die Publizierung des Liber Extra bot Anlaß zu einer Neuredaktion nach 1234, die ihren Abschluß durch eine von Bartholomäus von Brixen nach dem Tod Tancreds vorgenommene Neuauflage, in der eine Vereinheitlichung der Zitier weise — nicht mehr nach den einzelnen Sammlungen sondern nach dem Liber Extra — vorgenommen wurde, fand 4). Rockinger nimmt nun als Quellen für den ordo Antequam die ältere Fassung von Tancreds ordo an und setzt eine Überarbeitung dieses Kernstücks unter Benützung des Liber Extra zwischen 1234 und 1254 an5). Es bleibt noch abzuwarten, ob bei einer künftigen Neuausgabe des ordo Antequam in der Überlieferung eine derartige alte Textstufe wird festgestellt werden können. Eine Bestimmung, welche Textredaktion Tancreds der Anonymus benützt haben kann, stößt auf Schwierigkeiten, da der Verfasser des ordo Antequam ausdrücklich eine Allegation von Quellenstellen unter­ließ 6), deren Zitierweise einen Schluß auf ihren Ursprung zulassen könnte. Rockingers zweite Textstufe — die Bearbeitung nach 1234 — ist aus den bisher bekannten Handschriften gesichert. Rockinger stützte seine These von einer möglichst frühen Abfassungszeit auf eine Stelle der compilatio 17), die nicht in den Liber Extra aufgenommen wurde. Es ist immerhin möglich, daß der Anonymus diese Stelle, welche zweifellos verwendet wurde 8), aus der Rhetorica ecclesiastica bezogen hat 9). Die Anlage des ganzen Werkes läßt den Schluß auf ältere Vorbilder zu. Führt doch die Definition des Gerichtes — indicium est actus trium personarum — in weit ältere Schichten zurück. Diese Definition ist schon in den excerpta legum, welche Bulgarinus für den Kanzler der römischen Kirche, Aymericus, um 1148 ver­faßte, nachweisbar10) und wurde von einer Reihe weiterer Autoren ausgeschrieben11). Der Ordo Antequam hat sie jedoch aus der Summa decretalium des Bernhard von Pavia über­nommen12). b So genannt von Wahrmund Ludwig, Der parvus ordinarius, Archiv für katholisches Kirchenrecht, Bd. 81 (1901), S. 4, 10. 2) Rockinger, a. a. O. S. 30. Wahrmund, a. a. O. S. 10. 3) cap. 12, § 8 (Wunderlich Agathon, Johannis Andreä summula . . . Basel 1840) iura non allegantur hic, sed potius omittuntur: non propter p. 59 ignorantiam doctoris, sed propter imbecillitatem discentium, ad quorum perfectionem haec summula scripta est, .. . 4) Bergmann Friedrich, Pilli, Tancredi, Gratiae libri de ordine iudiciorum, Göttingen 1842, p. V—X. 5) Rockinger, a. a. O. S. 42. 6) Siehe unten S. 528. 7) c 1. Compil I de testibus 2, 13, verbietet das Zeugnis von Laien gegen Kleriker. Schulte Johann Friedrich, Geschichte der Quellen und Literatur, a. a. O.II (1877), S. 16, die V. compilationes antiquae und die übrigen nicht in den Liber Extra aufgenommenen Dekretalen haben zwar ihre Gültigkeit verloren, sie bleiben aber doch ein Hilfsmittel der Interpretation. 8) cap. 8, § 14 (Ausgabe Wunderlich, a. a. O. S. 41), et notandum, quod omnes possunt esse testes, exceptis quibusdam, qui prohibentur . . . nec laicus contra clericum. e) Wahrmund Ludwig, Quellen, a. a. O. 1/4 (1905), S. 72: Laici contra clericos et clerici contra laicos sicut in accusatione, ita nec in testimonio non sunt audiendi. Quod nobiscum testatur Triburiense concilium ubi legitur, quod nec testimonium laicorum contra clericos nec clericorum contra laicos est recipiendum . . . 10) Wahrmund, a. a. O. IV/1 (1925), p. XVIII, XXVIII. n) Wahrmund, a. a. O. IV/1 (1925), p. XXVIII, Note 1, nennt Johannes Bassianus, libellus de ordine iudiciorum (gedr.: Gaudenzi, Bibliotheca iuridica medii aevi, II, 213). Ordo, Scientiam (gedr.: Wahrmund, a.a. O. II/1 (1913), S. 1. Rainer von Perusai, Ars notaria (gedr.: Wahrmund, a. a. O. III/2 (1916), S. 74. Parvus ordinarius (gedr.: Archiv für katholisches Kirchenrecht, Bd. 81 (1901), S. 14. la) Wahrmund, a. a. O. Bd. 81, S. 14, Anmerkung 4.

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