Leo Santifaller: Ergänzungsband 2/1. Festschrift zur Feier des 200 jährigen Bestandes des HHStA 2 Bände (1949)

IV. Quellen und Quellenkunde - 34. Anna Hedwig Benna (Wien): Iurisprudentia medii aevi: eine Handschrift der deutschen Bearbeitung des Ordo „Antequam“

Ordo „Antequam“. 517 Rockinger hat nun aus der Tatsache, daß ihm selbst keine italienischen Handschriften des orda Antequam bekannt waren, auf dessen Abfassung durch einen Deutschen geschlossen1). Die handschriftliche Verbreitung des ordos ist aber nicht auf das deutsche Sprachgebiet — die in den Handschriften enthaltenen Formeln nennen eine Reihe deutscher Diözesen wie Salzburg, Passau, Speyer, Mainz, Hildesheim — beschränkt geblieben, sondern hat auch Frankreich erfaßt. Wahrmund2) konnte schließlich auch italienische Handschriften ausfindig machen. Die in Deutschland verbreiteten Handschriften gehen auf eine in Speyer um 1260 auf Grund von französischen Vorlagen hergestellte Fassung zurück. Dieser „Speyerer ordo“ stand nachweislich an den Offizialatsgerichten von Speyer, Würzburg und Halberstadt in Gebrauch 3). Die Frage, ob Italien, Frankreich oder Deutschland Heimat des Anonymus war, die bei einer künftigen Ausgabe gestellt werden muß, wird außer der Klassifikation der über­lieferten Handschriften und Drucke auch spätere, literarische Quellen heranziehen müssen, bei denen auf fällt, daß ausschließlich Italiener als mutmaßliche Verfasser genannt werden4 *). Die deutsche Fassung des Ordo Antequam, in der von uns im Anhang abge­druckten Handschrift, welche gegenüber dem Druck bei Koenig 6) nur geringfügige Les­arten aufweist, ist eine deutsche Bearbeitung der lateinischen Vorlage. Die 13 Kapitel der lateinischen Vorlage, in denen Gerichtspersonen und Rechtsgang von der Ladung bis zur Appellation dargestellt werden, wurden unter Weglassung von Urkundenformeln über­setzt. Die lateinischen Merkverse wurden dagegen beibehalten und die straffe Darstellung durch lateinisch-deutsche Glosseme aufgelockert. Bei der Darstellung des Versäumnisses wurde das dem Verfasser geläufige Ungehorsamsverfahren eingesetzt6). Die genannten Fälle der ehaften Not sind dem Oberbayrischen Landrechtsbuch Ludwigs des Bayern ent­nommen7). Die Nennung der vogteilichen und burggräflichen Gerichtsbarkeit weist auf die Gerichts Verhältnisse der Stadt Augsburg hin. Der Darstellung des Rechtsganges ist eine kurzgefaßte Rhetorik vorangestellt, welche den vor Gericht auftretenden Personen Ver­haltungsmaßregeln einschärft. Der Schreiber unserer abgedruckten Handschrift hat der Gerichtsordnung noch einige Kapitel über die Abfassung von Leiheverträgen folgen lassen, die er als zur Gerichtsordnung zugehörig von seiner Vorlage abgeschrieben und mit ihr zu einem Ganzen verbunden hat. Diese Kapitel sind in einer Reihe von Handschriften und Drucken der Gerichtsordnung angefügt; sie kommen aber auch selbständig in Sammelhand­schriften vor 8). Es soll nun versucht werden, aus dem vorhandenen Material Kriterien für Ort und Zeit der Bearbeitung festzustellen. Aus den bisher bekannten Handschriften und Drucken gewinnt man unschwer den Eindruck, daß es sich um ein Werk der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts handelt. Eine Datierung der Gerichtsordnung wird erschwert durch den 1) Rockinger, a. a. O. S. 49. 2) Wahrmund, a. a. O. Bd. 81, S. 13, Anmerkung 3. 3) Riedner Otto, Das Speyrer Offizialatsgericht im 13. Jahrhundert, Mitteilungen des historischen Vereins für Geschichte der Pfalz (Speyer), Heft 29/30 (1907), S. 1—107. Lhotsky Alphons, Ein Würz­burger Formelbuch aus dem 13. Jahrhundert, MIÖG. Erg. Bd. 12 (1933), S. 267, Anmerkung 2, S. 293, Anmerkung 1. 4) Die von Wahrmund, a. a. O. Bd. 81, S. 14, Anmerkung 4, angeführte Stelle aus Johannes Urba, processus iudicii (1405) (Muther Th., Joannis Urbach processus iudicii, 1873, p. 8), welche Hostiensis und Andrea als Gewährsmänner der Definition iudium est actus trium personarum nennt, weist in diese Richtung. Die von Wahrmund geäußerte Vermutung, daß es eine ältere anders lautende Definition gegeben hat, ist zu belegen aus Rhetorica ecclesiastica (Wahrmund, Quellen, a. a. O. 1/1, S. 2 und C IV, 9. 4, c 1.). 6) Vgl. oben S. 515, Anmerkung 10. 6) Stintzing, Geschichte der populären Literatur, a. a. O. S. 219. 7) Rudorff, a. a. O. S. 104. 8) Horn Hubert, Joann Andreae Processus iudiciarius nebst seinen Übersetzungen, München 1837. Stintzing, a. a. O. S. 219. Unger Fr. Wilhelm, Des Rechtes Stig oder der Richtsteig Landrechts samt cautela und premis, nebst einem Stück von Zehenten, Mühlen und Höfen, Göttingen 1847, S. 107—111.

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