Leo Santifaller: Ergänzungsband 2/1. Festschrift zur Feier des 200 jährigen Bestandes des HHStA 2 Bände (1949)

IV. Quellen und Quellenkunde - 34. Anna Hedwig Benna (Wien): Iurisprudentia medii aevi: eine Handschrift der deutschen Bearbeitung des Ordo „Antequam“

Ordo „Antequam“. 515 der Glossatoren Roger, Piacentin und Azo, die von Gross und Kunstmann J) edierten ordines von unbekannten Verfassern, Johannes Bassianus, quicumque vult, sowie der ordo des Otto von Pavia anzusehen * 2). Die jüngeren Werke haben unter Verarbeitung des päpst­lichen Dekretalenrechts auf diesen älteren Grundlagen, namentlich in der Systematik, aufgebaut. Der jüngere Typ tritt ausgeprägt bei Pillius, Damasus, Tancred hervor, während der anonyme ordo Babenbergensis3) und die zweite Prozeßschrift des Johannes Bassianus, der libellus de ordine iudiciorum, noch sehr stark in der älteren Schicht verwurzelt sind. Die ordines iudiciarii waren vor allem Lehr- und Handbücher; sie dienten ebenso dem Gebrauch der Studierenden der Rechte und den angehenden Notaren wie den Richtern und Advokaten als Hilfsmittel4). Sie waren auch außerhalb Italiens verbreitet, wie eine Durch­sicht der Handschriftenbestände unserer Bibliotheken und der erhaltenen Bibliotheks­kataloge beweist. Das im Anhang nach einer Handschrift des Haus-, Hof- und Staatsarchivs abgedruckte Stück ist eine deutsche Bearbeitung des dem Johannes Andreä zu Unrecht zugeschriebenen ordo iudiciarius5). Dieser ordo war in Frankreich und auf deutschem Boden weit ver­breitet 6) und wurde in mittelalterliche Formelbücher als integrierender Bestandteil auf­genommen 7). Der dänische Bischof Knut von Viborg verfaßte eine Übersetzung in seine Muttersprache, die sich wie die gleichzeitige eines unbekannten Friesen eng an das lateinische Original anschloß 8). Auf deutschem Boden ist im 15. Jahrhundert eine ebenfalls weit verbreitete deutsche Bearbeitung — es sind nicht weniger als 15 Druckausgaben um 1500, zumeist in Südwest­deutschland (Augsburg, Erlangen, Eßlingen, Heidelberg, Straßburg) beheimatet — nachweis­bar 9). Die gelehrte Sammlertätigkeit des 18. Jahrhunderts hat diese deutsche Bearbeitung als Senckenbergs Gerichtsbüchlein nach einer aus Österreich stammenden Handschrift in ein Sammelwerk aufgenommen 10). Rockinger n) hat einwandfrei an Hand eingehender Quellenuntersuchungen nach­gewiesen — und an diesem Ergebnis ist festzuhalten — daß Johannes Andreä nicht der Ver­*) Gross Carl, Incerti auctoris ordo iudiciarius, Wien 1870. Kunstmann, Über die ältesten ordines iudiciarii mit Rücksicht auf Magistri Richardi Angiiéi ordo iudiciarius ex codice Duacensi olim Aquicintino, Kritische Überschau der deutschen Gesetzgebung und Rechtswissenschaft II (1885), S. 17—29. 2) Wahrmund Ludwig, Quellen zur Geschichte des römisch-kanonischen Prozesses im Mittelalter V/l (1931), S. XLII. 3) Schulte Johann Friedrich, Der ordo Babenbergensis, SB. Wien 70/1 (1872), S. 81—185. 4) Wahrmund Ludwig, a. a. O. III/1 (1916), S. XXXVI. Aegidius de Fuscarariis, der erste Laien­dekretist, verfaßte seinen ordo, in dem das geltende Prozeßrecht seiner Vaterstadt Bologna dargestellt ist, zur Unterweisung angehender Advokaten. s) Stintzing Roderich, Geschichte der populären Literatur des römisch-kanonischen Rechts, Leipzig 1869, S. 202—219. Geschichte der deutschen Rechtswissenschaft, Geschichte der Wissenschaften in Deutschland, Bd. 18 (1880), S. 13—14. ®) Rockinger Ludwig, Briefsteller und Formelbücher des 11. bis 14. Jahrhunderts, Quellen zur bayrischen und deutschen Geschichte 9/2, S. 987. Rudorff, Über den processus iuris des Johannes Andreä, Zeitschrift für vergleichende Rechtswissenschaft, Bd. 11 (1842), S. 109. 7) Baumgartenberger Formelbuch, Formelbuch des Domkapitels von Prag und Formelsammlung des Dominicus Dominici von Viseu (Portugal); vgl. Rockinger, Briefsteller, a. a. O. II, S. 837—39, 987. Ott Emil, Beiträge zur Rezeptionsgeschichte des römisch-kanonischen Prozesses in den böhmischen Ländern, Leipzig 1879, S. 108. Palacky Franz, Über Formelbücher zunächst in bezug auf böhmische Geschichte, nebst Beilagen, 2. Lfg., Prag 1847, S. 5. 8) Rockinger, Briefsteller a. a. O. II, S. 988. Rudorff, a. a. O. S. 106—107. 9) Stintzing, Geschichte der populären Literatur des römisch-kanonischen Rechts im Mittelalter 1 (1869), S. 215—217. 10) Koenig von Koenigsthal Gustav, Corpus iuris germanici, publici et privati tom I pars I (1760), p. 147—155. n) Rockinger Ludwig, Über einen ordo iudiciarius bisher dem Johannes Andreä zugeschrieben, München 1855.

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