Leo Santifaller: Ergänzungsband 2/1. Festschrift zur Feier des 200 jährigen Bestandes des HHStA 2 Bände (1949)

IV. Quellen und Quellenkunde - 34. Anna Hedwig Benna (Wien): Iurisprudentia medii aevi: eine Handschrift der deutschen Bearbeitung des Ordo „Antequam“

514 Benna, deren Schrittmacher die gelehrten Richter, Stadtschreiber und Notare wurden, vor­gearbeitet 1). Das germanische Recht konnte sich in Mitteleuropa nur in der Schweiz und in Schleswig rein erhalten, in den übrigen Teilen ist es unter dem Einfluß des rezipierten römisch-italienischen 2) Rechts zum gemeinen Recht fortgebildet worden. Die Kodifikation des kirchlichen Rechts erfuhr durch die dem Dekret Gratians folgenden Sammlungen päpstlicher Dekretalen bis 1300 ihren Abschluß. Die römische Kirche konnte mit Recht von sich behaupten, sie lebe nach römischem Recht. Sie war in weit höherem Maß als das imperium Trägerin und Erbin der antiken Rechtskultur3). Die Legisten lehrten das weltliche, die Kanonisten das kirchliche Recht; sie schrieben Summen und Kommentare zu ihren Gesetzessammlungen und für gewisse Rechtsbereiche Spezialabhandlungen. Auf dem Gebiet des kirchlichen Rechts entstanden insbesondere für den Bereich des forum internum Handbücher; die summae confessorum, die Vorgänger in den älteren Bußbüchern hatten 4). Die Ehegerichtsbarkeit, welche die Kirche ausschließlich übte, erforderte eine genaue Kenntnis der Ehehindernisse von seiten der Beichtväter und geistlichen Richter, was zur Ausbildung der summae de matrimonio und insbesondere der summae super arboribus consanguinitatis 5), die der Kenntnis der Verwandtschaftszählung dienten, beitrug. Ein ebenso stark gepflegter und immer wieder bearbeiteter Typ der wissenschaftlichen Mono­graphie war der das ordo iudiciarius. Sowohl Legisten wie auch Kanonisten schrieben Dar­stellungen des Gerichtsverfahrens. Die kirchliche Gerichtsbarkeit erstreckte sich über Kleriker — nur Degradierte konnten vor ein weltliches Forum gezogen werden — und über Laien insbesonders in Ehe­sachen und Glaubensdelikten im engeren Sinn und in allen Fällen, in denen der Beklagte ein Kleriker war 6). Die kirchlichen Gerichte bildeten im Hochmittelalter ein Verfahrens­recht aus, das sich am Vorbild des in den oberitalienischen Kommunen entwickelten Rechts­ganges schulte. Im langobardischen Italien hatte sich im Hochmittelalter der Prozeß immer mehr und mehr von seinen germanischen Grundlagen entfernt. Dies war vor allem in Anlehnung an den romanistischen Gerichtsbrauch und römische Quellenaussprüche geschehen und hatte zur Bildung eines spezifisch-italienischen Prozeßrechts geführt 7), dessen Formen von der kirchlichen Gesetzgebung bei Neuordnung und Verbesserung des kirchlichen Prozeß­rechts durch Innozenz IV. auf dem Lyoner Konzil aufgenommen wurden8). Die Masse der überlieferten ordines iudiciarii läßt eine ältere 9) und eine jüngere Schicht erkennen. Als Repräsentanten der älteren Stufe, die noch stark am rezipierten Prozeßrecht der römischen Kaiserzeit orientiert war, sind Ulpianus, de edendo, die Summen *) Dahm, a. a. O. S. 250. 2) Die Verbreitung und Kenntnis der Juristenschriften, inbesondere der Summen und Kommentare war größer als die der Justinianischen Rechtsbücher selbst. Es genügt, die bereits veröffentlichten Mittel­alterlichen Bibliothekskataloge daraufhin zu untersuchen. Schmidt Richard, Lehrbuch des deutschen Zivilprozeßrechts2, Leipzig 1906, S. 72, schlägt vor, den nicht ganz zutreffenden Terminus „römisch - kanonischer“ Prozeß aus der Mediävistik zu entfernen und ihn durch eine zutreffendere Bezeichnung zu ersetzen, da das römische Recht nur für einzelne Teile nach freier Auswahl als Muster gedient habe, ansonsten habe sich das kirchliche Prozeßrecht am Rechtsgang der italienischen Kommunen geschult. 3) Vgl. oben S. 512, Anmerkung 1. 4) Das mittelalterliche Bußwesen hat in dieser Zeit eine Umwandlung erfahren; die Beichte rückte immer mehr in den Mittelpunkt des Verfahrens und wurde zu einem jurisdiktionellen Akt des Priesters, darüber vgl. die ausgezeichnete Arbeit von Jungmann J. A. Die lateinischen Bußriten, in Forschungen zur Geschichte des innerkirchlichen Lebens 3/4, Innsbruck, 1931—35. 6) Am meisten verbreitet war Johannes Andreä, lectura super arboribus consanguinitatis et affi­nitatis. Vgl. Schulte, a. a. O. I, S. 232. 6) actor forum rei sequatur. 7) Schmidt, a. a. O. S. 71—72. 8) In VI 2, tit. 1—12. *) Schulte, a. a. O. I, S. 233. Ott Emil, SB. Wien 125/8, S. 35, macht auf die älteste Darstellung des Prozesses im Lombardakommentar des Ariprand (lib. II, tit. 41) aufmerksam.

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