Leo Santifaller: Ergänzungsband 2/1. Festschrift zur Feier des 200 jährigen Bestandes des HHStA 2 Bände (1949)

IV. Quellen und Quellenkunde - 34. Anna Hedwig Benna (Wien): Iurisprudentia medii aevi: eine Handschrift der deutschen Bearbeitung des Ordo „Antequam“

Ordo „Antequam,“. 513 angewandt worden waren, und die der Sphäre des damaligen theologisch-philosophischen Wissenschaftsbetriebes entstammten 1). Es liegt auf der Hand, daß in dem Moment, in dem Kenner des fremden Rechts begannen, sich mit dem heimischen Recht wissenschaftlich aus­einanderzusetzen und Konkordanz versuche gemacht wurden 2), eine Auseinandersetzung des heimischen mit dem fremden Recht, sei es nun als Rezeption oder als Fusion, unvermeidlich wurde. Arbeiten wie das Brünner Schöffenbuch des Stadtschreibers Johannes geben eine Darstellung des deutschen Rechts unter Allegierung der fremden Rechtssätze am Anfang der Abschnitte. Der Verfasser, welcher die italienische Summenliteratur genau kannte und sein abcdarisches Werk für die Schöffen seiner Heimatstadt schrieb, setzte unter die deutschen Schöffensprüche römisch-rechtliche Sätze des italienischen Juristen Gotzius von Orvieto3). Die Summa legum brevis et utilis des sogenannten Doctor Raymundus von Wiener Neustadt, die in Polen und Ungarn stark verbreitet war, ist das Werk eines zumindestens an einer italienischen Universität geschulten Mannes, wenn nicht überhaupt des Raimundus Cumanus, Professor des Zivilrechtes in Bologna und Padua um 14004). Sie ist in ihrem Aufbau — drei Bücher: de iure personarum, de iure rerum, de accionibus — ebenso wie das frühmittelalterliche Florentiner Rechtsbuch von den Institutionen beeinflußt, ihr Ver­fasser kannte eine Reihe von italienischen Juristenschriften5). Dieses in Polen entstandene Werk, dessen Kern aus Italien stammt, erfuhr auf österreichischem Boden eine Über­setzung und Überarbeitung; deutschrechtliche Sätze des Schwabenspiegels und des Wiener Neustädter Stadtrechts fanden Eingang6), deutsche Rechtsworte (élos und rechtlos) wurden in den Text eingestreut7). Wie aus diesen beiden Werken erhellt, fand eine Annäherung des einheimischen und fremden Rechtes statt. In der Folgezeit hat sich das Verhältnis zwischen beiden Rechten zugunsten des eindringenden Fremdrechts verschoben, obwohl sich das heimische Recht in bezug auf seine methodische Durchbildung dem Fremdrecht stark näherte8). Es hat die „theoretische“ Rezeption, zu der im weitesten Sinn verstanden auch jene Konkordanz­versuche und Arbeiten zu zählen sind, der „praktischen“ Rezeption des 15. Jahrhunderts, 1) Stobbe Otto, Geschichte der deutschen Rechtsquellen, Bd. 1 (1860), S. 634. Lehmann Paul, Erforschung des Mittelalters, Leipzig 1941, S. 32. Grabmann Martin, Geschichte der scholastischen Methode, Bd. 2 (1911), S. 82 f. Kantorowicz Hermann, Studies in the glossators of Roman law, Cambridge 1938, S. 17. Dahm Georg, Zur Rezeption des römischitalienischen Rechts, HZ. 167 (1943), S. 242, weist auf die Zusammenhänge zwischen theologischer und juristischer Hermeneutik hin. 2) Schwabenspiegel (Ausgabe Lassberg) L. 6, setzt sich der Redaktor mit der römisch-rechtlichen Solidarbürgschaft auseinander, L. 44 allegiert er die Inskription zu D 1, 1: de iure scripto et non scripto für die Lehre von der guten Gewohnheit. 3) Schubart-Fikentscher Gertrud, Römisches Recht im Brünner Schöffenbuch, ZRG.2, 65 (1947), S. 165, 170—71, weist darauf hin, daß Fahrnis-, Erb- und Vertrags-, sowie Verfassungsrecht stärker vom eindringenden Fremdrecht bedroht waren als das Liegenschafts-, Familien- und Strafrecht. Merkel Johannes, Der Kampf des Fremdrechts mit dem einheimischen Recht in Braunschweig-Lüneburg, Quellen und Darstellungen zur Geschichte Nieder Sachsens, Bd. 19 (1904), S. 13, erwähnt eine Erkenntnis des Rats von Braunschweig von 1419, die als Quellen außer Sachsenspiegel und Schwabenspiegel, das Corpus iuris civilis, Decretum Gratiani, Liber X, Liber VI, Goffredus de Trano summa super rubricis decretalium, Dinus, commentarius super regulis iuris nennt. 4) Gál Alexander, Die Summa legum brevis et utilis des sogenannten Dr. Raymundus von Wiener Neustadt, Bd. 1 (1926), S. 112. 5) Henricus de Segusio (Hostiensis), Rolandus Passagerii, Jacobus Butrigarius, Johannes Andreä. Tomaschek, SB. Wien 105/2, S. 241 ff. Vgl. Seckel, Über die summa legum de3 Raymund von Wiener Neustadt, Beiträge zur Geschichte beider Rechte im Mittelalter, Bd. 1 (1898), S. 483—501. 9) Gál Alexander, a. a. O. S. 106—118: Bergbaufreiheit auf fremdem Grund und Boden, Tropfen­fallrecht, Pfandrealisierung, Deliktsobligationen. 7) Gál Alexander, a. a. O. S. 54. 8) Dahm Georg, a. a. O. S. 230, 255. 33

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