Leo Santifaller: Ergänzungsband 2/1. Festschrift zur Feier des 200 jährigen Bestandes des HHStA 2 Bände (1949)

IV. Quellen und Quellenkunde - 34. Anna Hedwig Benna (Wien): Iurisprudentia medii aevi: eine Handschrift der deutschen Bearbeitung des Ordo „Antequam“

512 Iurisprudentia medii aevi: Eine Handschrift der deutschen Bearbeitung des Ordo „Antequam“. Von Anna Hedwig Benna (Wien). Mittelalterliche Jurisprudenz — dieser Begriff involviert eine Vorstellung von den Leistungen der italienischen und französischen Rechtsschulen, an denen das römische Recht in ungebrochener Kontinuität seit dem Untergang der Antike, in welcher die Arbeiten der klassischen, römischen Rechtswissenschaft in den Gesetzbüchern Justinians für die Erben dieser versunkenen Welt, das mittelalterliche imperium und die mittelalterliche ecclesia x) kodifiziert worden waren * 2), tradiert, interpretiert und kommentiert wurde.3) Eine Dar­stellung der hochmittelalterlichen Jurisprudenz, die sich jedoch nur auf eine Würdigung der Romanistik beschränken würde, wäre einseitig und unvollständig, da seit dem 13. Jahr­hundert in Mitteleuropa die wissenschaftliche Bearbeitung des germanischen Rechts ein­setzt. Die deutschen Rechtsbücher sind wie die neueren Untersuchungen 4) es immer wieder an den Tag bringen, nicht ohne Zuhilfenahme von literarischen Hilfsmitteln gearbeitet worden. Die gelehrte Spekulation bemächtigte sich ihrer und verfaßte Glossen, Kommentarien, Vokabularien und Abcdarien 5) als Hilfsmittel. Das germanische Recht in Mitteleuropa wurde somit einer wissenschaftlichen Behandlung mit Hilfe von Methoden unterzogen, die an einer jahrhundertealten, fremden Rechtskultur bereits mit Erfolg x) Beck Alexander, Christentum und nachklassische Rechtsentwicklung. Atti dei congresso inter- nazionale di diritto Romano, Roma 1934 (Pavia 1935), vol. 2, p. 93, Note 2, 94, 97, 106, 110, weist darauf hin, daß Tertullian die Denkweise des Privatrechts in die christliche Gemeinde einführte, die sich aus einer pneumatischen Gemeinde der Heiligen zu einer Rechtsgemeinschaft entwickelte. Wie weit die Verrecht­lichung des Denkens ging, beleuchtet Ambrosius ep. 41, 7, in der die Erbsünde als Schuld des Menschen, die von Christus bezahlt wird, dargestellt wird, wobei der Erlöser dem schuldigen Menschen durch Erlaß - vertrag seine Forderungen nachläßt. Anderseits ist aber auch, obwohl christlicher Einfluß auf das Privat - recht der Justinianischen Kodifikation insbesondere in den Digesten nicht nachweisbar ist, im spätantiken Familien- und Erbrecht (Augustinische Lehre vom Seelenteil) die Beeinflussung durch die christliche Lehre unverkennbar. 2) Conrat Max, Geschichte der Quellen des römischen Rechts im Mittelalter, Bd. 1 (1891), S. 6 ff. Schulte Johann Friedrich, Geschichte der Quellen und Literatur des kanonischen Rechts, Bd. 1 (1875), S. 236—38. 3) Vgl. Genzmer Erich, Die Justinianische Kodifikation und die Glossatoren. Atti dei congresso internazionale di diritto Romano, Roma-Bologna 1933 (Pavia 1934), vol. 1; Engelmann Waldemar, Die Wiedergeburt der Rechtskultur in Italien durch die wissenschaftliche Lehre, Leipzig 1938. 4) Voltelini Hans v., Ein Beitrag zur Quellenkunde des Sachsenspiegel-Landrechts ZRG.2, 58 (1938), S. 568 ff. Kisch Guido, Saxenspiegel and Bible, Publications in Medivale Studies, The university of Notre Dame, Indiana, 1941. Gagnér Sten, Sachsenspiegel und speculum ecclesie, Niederdeutsche Mit­teilungen Jg. 3 (1947), S. 82—103. s) Kisch Guido, Zwei Sachsenspiegelvokabularien, ZRG.2, 34 (1924), S. 307—15. Juridical lexico­graphy and the reception of Roman law, Seminar, an annual extraordinary number of the Jurist, vol. 2 (1944), p. 51—77. Für die romanistischen und kanonistischen Vokabularien vgl. Seckel Emil, Beiträge zur Geschichte beider Rechte im Mittelalter, Tübingen 1898.

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