Leo Santifaller: Ergänzungsband 2/1. Festschrift zur Feier des 200 jährigen Bestandes des HHStA 2 Bände (1949)

I. Archiv-Wissenschaften - 4. Anton Largiadér (Zürich): Schweizerisches Archivwesen. Ein Überblick

26 Largiadér, Bestandteil jenen Stock von merowingischen und karolingischen Privaturkunden, der in einem Klosterdruck des 17. Jahrhunderts schon einmal publiziert, seit 1863 durch die Ausgabe Hermann Wartmanns Allgemeingut der Wissenschaft geworden ist. Die heute noch erhaltenen Dokumente reichen bis ins 8. Jahrhundert zurück; man hat ihnen also zum mindesten seit dieser Zeit eine gewisse Aufmerksamkeit geschenkt. Aus den bis ins 9. Jahrhundert fest­stellbaren Dorsualnotizen der Traditionsurkunden kann geschlossen werden, daß die Ur­kunden schon damals in bestimmter Anordnung aufbewahrt worden sind. Albert Bruckner, der die Entstehung des St. Gallér Stiftsarchivs untersucht hat, kommt zum Ergebnis, daß um 815 zum erstenmal eine größere archivalische Tätigkeit in St. Gallen stattgefunden haben muß. Um 900 erfolgte eine zweite Signierung mit Dorsualnotizen und römischen Ziffern, die eine Anordnung des Urkundenbestandes nach Verwaltungsbezirken erkennen läßt. Das im Zusammenhang mit der Hirsauer Reformbewegung um 1056 gegründete Kloster Allerheiligen zu Schaff hausenx) besitzt einen heute noch gut erhaltenen Schatz an Urkunden, der bis ins 11. Jahrhundert zurückreicht. Schon im 12. Jahrhundert wurden auf allen vor­handenen Stücken ausführliche Dorsualnotizen angebracht, was auf eine alte Archiveinteilung schließen läßt. Jüngere Archivsignaturen stammen aus dem 15. Jahrhundert. Leider wurde der Bestand im 19. Jahrhundert dadurch vermindert, daß einzelne Stücke betreffend den Hegau, ins Badische Generallandesarchiv nach Karlsruhe kamen, die Dokumente betreffend Illnau (Kanton Zürich), aber dem Staatsarchiv Zürich abgetreten wurden. In den Beständen der Abtei Fraumünster in Zürich hat sich ein Urkundenverzeichnis erhalten, das um 1298 anzusetzen ist 2). Von 31 Einträgen sind heute noch 21 Urkunden nachweisbar, so daß einstweilen mit einem Verlust von zehn Stücken gerechnet werden muß. Für das Bischöfliche Archiv in Lausanne besteht ein Papierheft mit Urkunden­verzeichnis aus dem 14. Jahrhundert 3). Selbstverständlich haben die geistlichen Archive auch Verluste erlitten. Die Kloster­aufhebungen zur Zeit der Reformation, die veränderten politischen Verhältnisse unter der Helvetik und zu Beginn des 19. Jahrhunderts mögen hier genannt werden. Erst im späteren 19. Jahrhundert setzte sich die Auffassung durch, daß die Archivbestände im Interesse der wissenschaftlichen Forschung zu erhalten seien; erst damals ist die Verantwortung für das Archivgut zur allgemein anerkannten Maxime geworden. Auch durch kriegerische Ereignisse sind Bestände als Beute verschoben worden. So besaß Zürich seit dem Toggenburger oder Zweiten Villmerger Krieg von 1712 einen Teil des st. gallischen Stiftsarchivs. Es waren Bestände, die aus dem Rahmen herausgerissen waren und die dann im Jahre 1931 dem ehemaligen Eigentümer wieder restituiert werden konnten. Schwedenbeute aus dem Dreißig­jährigen Krieg war ein Stück des Bischöflich-Konstanzischen Archivs, das ebenfalls in Zürich als Fremdkörper lag und das 1932 dem Badischen Generallandesarchiv in Karls­ruhe zurückgegeben wurde, da dort die entsprechenden Akten des ehemaligen Bistums Konstanz lagen. gallische Archiv in Zürich. In: Festschrift Hans Nabholz, Zürich 1934, S. 329—341. — Albert Bruckner, Die Anfänge des St. Gallér Stiftsarchivs. In: Festschrift Gustav Binz, Beisei 1934, S. 119—131. — Über die ältesten Urkundenbestände des Klosters St. Gallen und frühere Versuche zu deren Erschließung vgl. Hermann Wartmann im 1. Bd. des Urkundenbuches der Abtei St. Gallen, Zürich 1863, S. V—XVII; über einen Bestand von Originalurkunden des Stiftsarchivs aus dem 8. bis 10. Jahrhundert, die im 17. Jahrhundert nach Bremen gelangt waren und 1948 wieder nach St. Gallen zurückgekehrt sind, vgl. Anton Largiadér, Neue Zürcher Zeitung, 11. Februar 1948, Nr. 299. x) Vgl. über das Archiv dieses Klosters Friedrich Ludwig Baumann. In: Quellen zur Schweizer Geschichte, 3. Bd., Basel 1883. S. 168—171: „Das Kloster Allerheiligen in Schaffhausen“. 2) Original im Stadtarchiv Zürich. Vgl. Referat über die Mitteilung von Werner Schnyder, Zeitschrift für schweizerische Geschichte, 24. Bd., Zürich 1944, S. 612. 3) Vgl. Register der bischöflichen Archivalien im Schloß Ouchy, erstellt unter dem Bischof Guy de Prangins, dessen Episkopat von 1375—1394 dauerte. Es handelt sich um ein Papierheft aus dem 14. Jahr­hundert mit genauer Beschreibung der einzelnen Urkunden, der Schachteln und Truhen.

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