Leo Santifaller: Ergänzungsband 2/1. Festschrift zur Feier des 200 jährigen Bestandes des HHStA 2 Bände (1949)
I. Archiv-Wissenschaften - 4. Anton Largiadér (Zürich): Schweizerisches Archivwesen. Ein Überblick
Schweizerisches Archivwesen. 25 schönes Denkmal österreichisch-schweizerischer Zusammenarbeit auf dem Gebiete der historischen Editionstätigkeit, wobei wir uns bewußt sind, daß Österreich durchaus der gebende Teil ist. Nicht zuletzt hat Oswald Redlich in seinem monumentalen Werk über „Rudolf von Habsburg; Das Deutsche Reich nach dem Untergange des alten Kaisertums“ (Innsbruck 1903) ein Buch geschaffen, das zu den grundlegenden Monographien der Schweizer Geschichte gerechnet werden darf. * * * Als die Schweiz im Jahre 1848 nach schweren inneren Auseinandersetzungen und nach einem Bürgerkrieg in der bundesstaatlichen Lösung die heutige Form des staatlichen Aufbaus gewann, stellte sich sofort die Frage nach der Ausscheidung der Kompetenzen zwischen der Bundesgewalt und den 22 auch fortan als „souverän“ bezeichneten Kantonen, d. h. den Gliedstaaten. Dabei wurde der Grundsatz gefunden, daß alle Kompetenzen, welche nicht ausdrücklich durch die Verfassung dem Bunde zugesprochen waren, in der abschließenden Zuständigkeit der Kantone verblieben. (Artikel 3 der Bundesverfassung vom 12. September 1848 lautete: „Die Kantone sind souverän, soweit ihre Souveränität nicht durch die Bundesverfassung beschränkt ist, und üben als solche alle Rechte aus, welche nicht der Bundesgewalt übertragen sind.“ Bei der Totalrevision von 1874 ging der Artikel unverändert in die heute geltende Bundesverfassung vom 29. Mai 1874 über.) Zwar sind im Laufe der hundert Jahre die Bundesbefugnisse auf Kosten der Kantone bedeutend verstärkt worden; aber an der Tatsache wurde nicht gerüttelt, daß im allgemeinen die Pflege der Kultur den Kantonen zu verbleiben habe (Beziehungen zu den religiösen Bekennerschaften, Unterrichtswesen aller Stufen, Pflege von Kunst und Wissenschaft). Als einzige Ausnahmen können drei vom Bund errichtete Kulturinstitute genannt werden, nämlich die Eidg. Techn. Hochschule in Zürich (gegründet 1854), das Schweizerische Landesmuseum in Zürich (gegründet 1890 bis 1891) und die Schweizerische Landesbibliothek in Bern (gegründet 1894). Sie beruhen im Falle der Technischen Hochschule auf einem Artikel der Bundesverfassung, im Falle des Landesmuseums und der Landesbibliothek auf Bundesbeschlüssen der gesetzgebenden Räte der Eidgenossenschaft. Aber niemals ist ein Bundesbeschluß, ein Gesetz oder ein Verfassungsartikel über das Archiv wesen der Schweiz zustande gekommen. Die Gesetzgeber wollten offenbar bewußt die Pflege der Archive den Gliedstaaten, also den Kantonen, überlassen. So ist es geblieben bis zum heutigen Tag. Geistliche Archive. Die Anfänge der öffentlichen Archive in der Schweiz gehen wie in den anderen Gebieten nördlich der Alpen auf die Archive der geistlichen Körperschaften zurück. Zu nennen sind die Bistümer Konstanz, Chur, Basel, Lausanne, Genf und Sitten. Es ist zu erinnern an die alten Abteien St. Maurice, Romainmotier, St. Gallen, Disentis, Pfäfers, Fraumünster-Zürich, Einsiedeln und Payerne, an die jüngeren Abteien, wde Muri, Engelberg, Allerheiligen-Schaffhausen, und an die übrigen nach der Jahrtausend wende entstandenen Klöster sowie an die Niederlassungen der geistlichen Ritterorden (Templer, Johanniter, Deutschherren und Lazariter). In St. Gallen stand der weltbekannten St. Gallér Stiftsbibliothek ein nicht weniger wichtiges Stiftsarchiv zur Seite *)• Die Bestände dieses Archivs verwahren als kostbarsten x) Karl Wegelin, Historische Denkschrift über die Schicksale und Verhältnisse des st. gallischen Stiftsarchivs. In: Verhandlungen der st. gallisch-appenzellischen gemeinnützigen Gesellschaft 1858. — Gustav Scherer, Die gedruckte st. gallische Dokumentensammlung. In: Archiv für schweizerische Geschichte, 16. Bd., Zürich 1868, S. 158—176. — Johannes Strickler, Das abt-st. gallische Archiv in Zürich. In: Archiv für schweizerische Geschichte, 17. Bd., Zürich 1871, S. 44—62. — Johannes Häne, Inventar des Stiftsarchivs St. Gallen, Bern 1899 (Inventare, 2. Bd.). — Anton Largiadér, Das abt-sankt