Leo Santifaller: Ergänzungsband 2/1. Festschrift zur Feier des 200 jährigen Bestandes des HHStA 2 Bände (1949)
I. Archiv-Wissenschaften - 3. Dyonis Jánossy (Budapest): Das Archivgesetz in Ungarn
Archivgeaetz in Ungarn. 19 die Ausfertigungen oder aber auch jene aus dem Geschäftsgänge eines Amtes erwachsenen Schriften, welche gemäß ihrer Bestimmung in den Besitz von Privatpersonen oder von nichtstaatlichen Organen übergehen. Aus diesen Erörterungen mag erhellen, daß acta publica nach archivalischem Ermessen nur aus dem Geschäftsgang des Parlaments, der Behörden und der öffentlichen Ämter erwachsen können. Jedoch wurden die aufbewahrten Schriften der öffentlichen Notariate — obwohl diese nach der ungarischen Rechtsauffassung weder Behörden, noch öffentliche Ämter sind — als acta publica bezeichnet, weil die Aufbewahrung derselben im öffentlichen Interesse gelegen ist. In dem hier geschilderten Sinne ist der Charakter der öffentlichen Schriften völlig unabhängig von dem Umstand, ob sie in der Registratur des die Staatsgewalt ausübenden Organs von dem Schriftenbestande der allgemeinen Geschäftsführung gesondert behandelt oder unregistriert aufbewahrt werden. Es muß weiters klar betont wrerden, daß bei Formulierung dieser neuen juridischen Terminologie ein exakter Unterschied gemacht wurde zwischen öffentlichen Schriften und öffentlichen Urkunden, welch letztere von einer Behörde oder von einem öffentlichen Notar zum Beweise einer Willensäußerung oder einer Tatsache ausgestellt werden. Bei Vergleich der zwei Terminologien ist es offenkundig, daß öffentliche Urkunden nur im Falle als öffentliche Schriften gelten können, wenn sie bestimmungsgemäß nicht in den Besitz von Privatpersonen oder von nichtstaatlichen Organen übergehen. Die genaue Formulierung des Begriffes der acta publica war um so mehr wichtig, weil dieselben als res extra commercium betrachtet*) werden müssen. Aus ihrem Charakter wird weiters gefolgert, daß die skartierten öffentlichen Schriften nur von einer solchen Amtsstelle benützt werden dürfen, aus deren Geschäftsgang sie erwachsen sind, u. zw. allein für die innere Geschäftsführung, aber keineswegs zu Zwecken von neuen Ausfertigungen. Die skartierten öffentlichen Schriften können jedoch in Verkehr gesetzt werden unter der Bedingung, daß der Charakter dieser Schriften vorschriftsmäßig (z. B. durch Unlesbar- machung des Textes) vernichtet werden. Die Benützungsgrenze für öffentliche Schriften ist mit 50 Jahren festgesetzt, von dem Zeitpunkte gerechnet, in welchem dieselben entstanden sind 2). Bei Festsetzung dieses Termins war es die Absicht für die Geschichtsforschung, die Benützung der Schriften in verhältnismäßig kurzer Zeit nach deren Entstehung zu ermöglichen. Nach praktischer Erfahrung scheint dieser Termin hinreichend zu sein, um etwaigen Privatinteressen gebührende Rechnung zu tragen. Die öffentlichen Schriften müssen — soweit sie für den laufenden Geschäftsgang nicht mehr notwendig sind — in Archiven auf bewahrt werden 3). Diese grundlegende Feststellung schien um so mehr wichtig, weil es öfters vorkam, daß Personen, die einst die Staatsgewalt ausübten, ihre Korrespondenzen, welche als acta publica betrachtet werden, nach Ablauf ihrer Amtszeit mit sich genommen haben. Solche Schriften tauchen manchmal in ihrem Nachlaß auf, welche die Erben persönlich oder aber durch Antiquitätenhändler zu verwerten suchen. Der geschäftliche Anbot kann in solchen Fällen seitens des Staatsarchivs zu einer Regreßklage gegen den Anbotsteller führen, besonders dann, wenn der Charakter der acta publica einwandfrei feststeht. Daher müssen solche Schriften als res extra commercium grundsätzlich ohne Vergütung dem Staatsarchiv eingeliefert werden, obwohl eine entsprechende Vergütung für deren zeitliche Aufbewahrung — ohne die Anerkennung eines Kaufpreises — in der Rechtspraxis zugesprochen wird. Nach diesen allgemeinen Bestimmungen schien es notwendig, die Tätigkeit der Archive — getrennt nach Kategorien — gesetzlich zu regeln. Dem Staatsarchiv, welches x) Idem, Kapitel II, § 3. 2) Idem, Kapitel II, § 4. 3) Idem, Kapitel II, § 5.