Leo Santifaller: Ergänzungsband 2/1. Festschrift zur Feier des 200 jährigen Bestandes des HHStA 2 Bände (1949)

I. Archiv-Wissenschaften - 3. Dyonis Jánossy (Budapest): Das Archivgesetz in Ungarn

18 J ánossy, Archive des Landes zu übernehmen, d. h. auch über jene öffentlichen Archive staatlichen oder munizipalen Charakters, welche nicht dem Ministerium für Kultus und Unterricht, sondern aber den anderen Ressortministerien unterstellt sind. Dabei war doch das National­museum eine nicht staatliche, sondern eine autonome Anstalt, demzufolge konnte man einer nichtstaatlichen Anstalt ein staatliches administratives Organ nicht unterstellen. Dem­gegenüber vertrat das Nationalmuseum die Ansicht, daß eine vom Museum gesonderte Regelung dem dreigeteilten ideellen Aufbau des Nationalmuseums, d. h. Archive, Biblio­theken und Museen widersprechen und weiteren Sezessionsbestrebungen anderer Glied­anstalten offenes Tor bieten würde. Die Beratungen schienen bereits im Sand zu verlaufen und die beharrliche Stellung­nahme des Staatsarchivs wurde als eine autonomiefeindliche Bestrebung gebrandmarkt, als der deutsche Einmarsch in Ungarn am 19. März 1944 die weitere Diskussion unterband und die Kodifikationsarbeiten auf lange Sicht verschob. Erst nach Konstituierung der ungarischen Republik im Jahre 1946 konnten die Beratungen wieder fortgesetzt werden, welche nun im Geiste des gegenseitigen Verständnisses bei Annahme der fachlich begründeten Beweisführung des Staatsarchivs in den oben geschilderten und anderen Streitfragen im Frühjahr 1947 mit Erfolg abgeschlossen wurden. Somit gelang es dem Staatsarchiv der Nationalversammlung durch Vermittlung des Kultus­ministers eine solche Gesetzesvorlage zu unterbreiten, welche das weite Gebiet des Archivwesens restlos umfaßt und bezüglich der Schutzmaßnahmen und Oberaufsicht aller staatlichen und nichtstaatlichen Archive „vom öffentlichen Interesse“ zeitgemäße Verfügungen trifft. Da bis zum Jahre 1947 für die Behörden, Ämter, öffentlichen Körperschaften und öffentlichen Anstalten keine offizielle Verpflichtung bestand, die aus ihrem Geschäftsgang erwachsenen Akten, Schriften, Korrespondenzen aufzubewahren, müßte vor allem in die Gesetzesvorlage eine solche Bestimmung aufgenommen werden, welche diese Verpflichtung grundsätzlich statuiert1). Die taxatíve Feststellung der unter diese Bestimmung fallenden Behörden usw. wird dem Kultusminister anheimgestellt, dem zur Pflicht gemacht wurde, in konkreten Fällen im Einvernehmen mit den kompetenten Ressortministern Entscheidung zu treffen. Somit wird der Schutz bereits auf die laufenden Registraturen erstreckt, geleitet von der Überzeugung, daß gewisse Bestandteile dieser Registraturen nach durchgeführter fachgemäßer Skartierung schon zur Zeit des laufenden Geschäftsganges als künftige historische Quellen betrachtet werden müssen. Daher wurde Vorsorge getroffen, daß die Skartierungsvorschriften nach grundlegend einheitlichen Bestimmungen ausgearbeitet und mit Rücksichtnahme auf die archivalischen Grundsätze unter Mitwirkung des Kultusministers innerhalb zwei Jahren nach Inkrafttreten des Gesetzes festgesetzt werden. Aus diesen allgemeinen Bestimmungen erfolgte die grundlegende Geltendmachung des Provenienzprinzips, d. h. der organischen Zusammengehörigkeit der Akten, Korrespon­denzen, welche vom Geschäftsgänge eines Amtes erwachsen. Soweit aber diese Akten, Korrespondenzen aus der Amtstätigkeit der Staatsgewalt entstanden sind, werden dieselben als öffentliche Schriften (acta publica) deklariert, deren Aufbewahrung im Interesse der Allgemeinheit unbedingt gefordert wird 2). Für die richtige juridische Terminologie, deren Bereicherung mit dieser Bestimmung gefördert wurde, müßte eben der Versuch unter­nommen werden, die öffentlichen Schriften, welche eine zeitgemäße Variante der acta publica des Ständestaates darstellen, genau zu erörtern. Nach eingehenden Beratungen bestimmte nun die Kodifikationskommission — vom rein archivalischen Standpunkte betrachtend — nur die Eingaben, die Erledigungskonzepte und die inneren Geschäftsschriften (z. B. Ein­reichungsprotokolle, Indizes usw.), soweit dieselben bestimmungsgemäß in der Registratur des betreffenden Amtsorgans zurückbehalten werden, als öffentliche Schriften. Es werden daher nicht als öffentliche Schriften betrachtet, die den Eingaben beigeschlossenen Beilagen, Gesetz No. XXI vom Jahre 1947 über die Regulierung des Archivwesens, Kapitel I, § 1. 2) Idem, Kapitel II, § 2.

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