Leo Santifaller: Ergänzungsband 2/1. Festschrift zur Feier des 200 jährigen Bestandes des HHStA 2 Bände (1949)

I. Archiv-Wissenschaften - 3. Dyonis Jánossy (Budapest): Das Archivgesetz in Ungarn

Archivgesetz in Ungarn. 17 häuser und Versicherungsanstalten, der Wirtschafts- und Gewerbekammer und zuletzt der so oft auf den Dachböden aufgehäuften Familien- und Domänenarchive usw. erwähnt werden. Die Notwendigkeit einer einheitlichen Regelung des Archivwesens wurde in Ungarn schon vor der Jahrhundertwende erkannt. Anläßlich der Budgetdebatte vom Jahre 1897 wurde im Abgeordnetenhause auf die Folgen der in Verwesung befindlichen Archive hin­gewiesen. Es mußte trotzdem noch ein halbes Jahrhundert verlaufen, bis eine grundlegende gesetzliche Regelung zustande kam. Es war der Verdienst des nach dem ersten Weltkrieg gegründeten Fachorgans des Staatsarchivs, der „Archivalischen Mitteilungen“, die Frage des allgemeinen Archivschutzes stets vor Augen der wissenschaftlichen Kreise zu halten. Dessenungeachtet war erst während des zweiten Weltkrieges der günstige Zeitpunkt gekommen, zu einer umfassenden Regelung zu schreiten. Den Anlaß dazu gab die Erkenntnis, daß im Laufe der Kriegsoperationen auch ungarisches Gebiet in Mitleidenschaft gezogen werden könnte und daher zwecks wirksamen Archivschutzes zu gehörigen Maßnahmen geschritten werden müßte. Durchdrungen von dieser Notwendigkeit entwarf vorerst das Staatsarchiv ein Konzept der Grundbestimmungen des geplanten allgemeinen Archivgesetzes und forderte im Jahre 1942 etwa 70 Universitätsprofessoren und Archivfachleute auf, ihr Gutachten abzugeben. Bei Verwertung der eingelaufenen Anträge und kritischen Bemerkungen und mit der Bearbeitung der ausländischen Fachliteratur entstand nun eine systematisch aufgebaute Gesetzesvorlage, welche aber vorerst den Gegenstand mehrerer Streitfragen bildete. Die erste Streitfrage war nun um das Problem konzentriert, ob die glaubwürdigen Orte als Archive staatlichen oder aber als kirchlichen (privaten) Charakters betrachtet werden sollten. Auf Grund seinerQuellenforschungen vertrat das Staatsarchiv den ersteren Standpunkt, demzufolge das Verhältnis der loca credibilia zu den übrigen staatlichen Archivbeständen, ferner die Frage der Oberaufsicht anders bestimmt werden sollte, wie wenn diese Kategorie der Archive als kirchliche Archivbestände, d. h. als Privatarchive der Kirche betrachtet werden könnten. Zum Beweis seines Standpunktes bezog sich das Staatsarchiv auf einen Vorfall, welcher sich im Jahre 1819 bei dem Wesprimer Domkapitel ereignete. Das Kapitel untersagte nämlich den Eintritt in den glaubwürdigen Ort dem Bischöfe, der anläßlich der kanonischen Visitation in Wesprim verweilte. Der Vorfall kam vor die Ungarische Statthalterei, welche die Stellungnahme des Kapitels guthieß und erklärte, daß der Bestand und Tätigkeit der glaubwürdigen Orte schon seit dem 13. Jahrhundert auf die Verfügungen der Landesgesetze und nicht auf die kanonischen Regulamente zurückzuführen sei. Auch Kaiser Franz hatte mit seiner a. h. Entscheidung vom 13. August 1819 die Stellung­nahme der Ungarischen Statthalterei genehmigt und erklärt, daß die kanonische Visitation auf die glaubwürdigen Orte nicht ausgedehnt werden dürfe. Trotz dieser klaren Sachlage vertraten die kirchlichen Behörden im Jahre 1943 die Ansicht, daß die genannten Archive als kirchliche Privatarchive zu betrachten sind. Es schien nun, als ob die Hoffnung des Staatsarchivs, eine allgemeine Regulierung des Archivwesens mit Einvernehmen aller kompetenten Stellen nur ein Wunschtraum bleiben würde. Eine noch schwierigere Streitfrage entstand um das Problem, ob das neu zu errichtende Landesinspektorat der Archive in den Gubernialrat des Ungarischen Nationalmuseums eingebaut werden solle oder nicht. Obwohl das Staatsarchiv im Beratungskonzept der Gesetz­vorlage bezüglich der bestehenden administrativen Bestimmungen des Gesetzes VIII. vom Jahre 1934 keine Änderung unternommen hatte und trotz seines fachlichen Bedenkens, daß das Archivwesen nicht gemeinsam mit dem Museumwesen behandelt werden kann, eine Änderung bezüglich der Zugehörigkeit des Staatsarchivs zu den Gliedanstalten des Nationalmuseums aus personellen und ökonomischen Rücksichten einstweilen nicht beantragte, harrte fest bei der Ansicht aus, daß das Landesinspektorat nicht in den Verband des Nationalmuseums angeschlossen werden darf. Die Gründe dafür waren sehr einleuchtend. Nämlich das zu errichtende Landesinspektorat hatte doch die Oberaufsicht über sämtliche

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