Oskar Regele: Ergänzungsband 1. Der österreichische Hofkriegsrat 1556-1848 (1949)

II. Die Tätigkeit des Hofkriegsrates im Allgemeinen. - d) Mängel des Hofkriegsrates

47 der Hofkriegsrat mit einzelnen Regimentern verkehren mußte; sein Wirkungskreis er­streckte sich derart auf zahlreiche weitzerstreute Armeeteile. Auch hing es mit dem Wesen des Militärs zusammen, daß sich die Zentralbehörde mit unzähligen Einzelheiten befassen mußte, wie u. a. mit den Adjustierungsbestimmungen, den Reglements für das Exerzieren, Schießen, Lagern u. dgl. m., dem Gebührenwesen — lauter Dinge, die in der soldatischen Welt vordringlich sind. Man darf nicht vergessen, daß in älteren Zeiten der ^Gamaschen­dienst“ seine innere Berechtigung hatte, denn die angeworbenen Soldaten konnten im Gefecht durch nichts anderes als durch eine leicht überblickbare Einheitlichkeit auch in den unschein­barsten Details zusammengehalten werden, seien es nun Bekleidungs-Normen oder aber die unzähligen Tempos — im Jahre 1615 nicht weniger als 31! —, die zum Abgeben eines Schusses erforderlich waren. Hier bestand natürlich eine bedeutende Gefahr, daß sich Menschen unter dem Durchschnitt in Nichtigkeiten verloren und notwendige Äußerlichkeiten für das Wesen hielten. Ein besonders oft gemachter Vorwurf ist jener der Schwerfälligkeit, der Pedanterie, des Bürokratismus und der Langsamkeit. Es scheint, hier wird mit den Augen des 20. Jahr­hunderts in das 16. und 17. hineingeblickt. Vergegenwärtigen wir uns doch einmal, wie der Hofkriegsrat z. B. noch im 18. Jahrhundert gearbeitet hat: alles mußte mit der Hand und oft bei primitiver Beleuchtung geschrieben werden, noch gab es keine Vervielfältigungs­methoden, es gab auch weder Telegraph noch Telephon. Das Verkehrswesen war noch wenig entwickelt und alle Ausfertigungen mußten mit einfachen Boten auf den wenigen Straßen befördert werden. Die Post hatte oft nur gelegentliche Posttage. Schriftstücke von der Hofkammer zum Hofkriegsrat waren auch 2—4 Wochen unterwegs und nur in dringendsten Fällen gelang es, diese Fristen wesentlich zu verkürzen. Mit den Feldherren verkehrte der Hofkriegsrat entweder durch die Ordinari-Post oder durch die Feldpost. Besondere Ordonnanzlinien wurden eingerichtet, auf denen ein Bote zu Pferd in einer Stunde im besten Falle 7% km zurücklegen konnte. Zu Prinz Eugens Zeiten benötigte ein kaiserliches Schreiben an den Prinzen vor Zenta acht Tage, Berichte des Prinzen erreichten den Kaiser in einer Woche. Von Luzzara aus brauchte 1702 eine Meldung Eugens an den Kaiser acht Tage und die kaiserliche Antwort erreichte den Prinzen in zehn Tagen. 1739brauchte manfünfTage für den schriftlichen Verkehr von Belgrad nach Wien. Landkarten waren ebenso selten wie lückenhaft, den Druck kannte man im Kanzleibetrieb erst nach 1800. Der Hof­kriegsrat konnte somit nicht rascher arbeiten, als es die zeitgenössischen Mittel erlaubten. Auch die schon vorerwähnte peinlichste Genauigkeit in allen Ausfertigungen konnte sich nur verlangsamend auswirken. Der Hofkriegsrat arbeitete im Kriege unter ungün­stigsten Begleitumständen, unter demewigen Drucke der Zeit, in meist ungeklärten kritischen Lagen. Nie durfte sich jemand auf Irrtümer oder Ungenauigkeiten ausreden können, in jedem Einzelfalle mußte die Verantwortlichkeit eindeutig feststellbar sein und dies war nur auf Grund erschöpfender und unanfechtbarer schriftlicher Unterlagen möglich. Der Hofkriegsrat — der allerdings als eine Hinterlandsbehörde von Natur aus langsamer arbeiten mußte als ein Frontkommando — war also im Ganzen gesehen keineswegs schwer­fälliger oder langsamer als irgend eine andere Behörde derselben Zeit und wir müssen uns vor dem Fehler hüten, falsche Maßstäbe anzulegen. Solchen Fehlern kann man sehr leicht ausweichen, wenn man sich der Mühe unterzieht, die gar nicht so seltenen Fälle festzustellen, in denen selbst noch im Kriege 1939/45 wichtige Befehle zu spät ankamen oder den Adressaten überhaupt nicht erreichten — im Zeitalter hochentwickelter Verbindungstechnik. Ein ganz besonderer Umstand, der bei Beurteilung des Hofkriegsrates zu berücksich­tigen bleibt, ist der, daß Österreich immer nur Verteidigungskriege geführt hat. Es wiederholte sich daher immer wieder die Notwendigkeit, die Rüstungen erst nachzuholen und die dann unter großen Opfern aufgestellten Armeen nicht leichtfertig aufs Spiel zu setzen. Die oberste Führung konnte nicht wie der Angreifer mit seiner Vorsprungsrüstung auch gewagtere Operationen einleiten, sie mußte vielmehr gewissenhaft überlegen, wann und 47

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