Evangélikus Elemi Iskola, Budapest, 1886
6 auf, denn nur durch eine dauerhafte, unbefangene und sorgfältige Bebeachtung werdet ihr ein richtiges Bild von euern Kindern gewinnen, das euch in eurer Erziehungs-Thätigkeit allein sicher zuin Ziele führen kann. So ist es z. B. ganz natürlich, wenn ein gesundes, starkes Kind ein lebhaftes Temperament zeigt, wenn es ihm schwer wird, still zu sitzen und längere Zeit hindurch aufzumerken; das Nichtsthun entspricht seinem Naturell nicht. Doch ist dies kein Grund zur Traurigkeit für eine Mutter; denn von einem Kinde darf man niemals das verlangen, was man von einem Erwachsenen zu fordern berechtigt ist; ja im Gegen th eile, wenn wir sehen würden, dass -ein solches Kind längere Zeit unthätig und stille zu sitzen im Stande ist, dann wäre dies ein böses Zeichen, ein Zeichen der Trägheit. — Deshalb hüte man sich auch, dem Kinde eine Rüge zu ertheilen, wenn es irgend ein Sache bald satt bekommt und die Abwehcslung liebt, denn dies liegt in seiner Natur. Aber der lebhafte leichte Sinn kann gar zu bald in Leichtsinn ausarten und deshalb müssen wir ihm unsere volle Aufmerksamkeit widmen und das Thun und Treiben des lebhaften, unruhigen Kindes stets mit Sorgfalt beobachten. Sehen wir zuerst, was den Leichtsinnigen kennzeich- n e t. Er überlässt sich, ohne viel darüber nachzudenken, ganz den Eindrücken des Augenblicks. — Der Himmel ist blau, die Sonne scheint, die Luft ist lau, er macht einen Spaziergang, trotzdem er mit Arbeiten, welche er längst hätte beendigen sollen, überhäuft ist. Er sieht im Schaufenster irgend einen schönen Gegenstand, geht in den Laden und kauft ihn, obgleich er nur über sehr bescheidene Geldmittel zu verfügen hat und oft das Nothwendigste entbehren muss. Im Laden stellt er den Sonnenschirm in einen Winkel, und wählt das Gewünschte aus; nach getroffener Wahl entfeint er sich, hocherfreut über den Besitz — und lässt seinen Schirm in der Ecke stehen. Der Leichtsinnige ist also vergesslich, unordentlich, unbedacht, unzuverlässig, flatterhaft und ungeduldig. Diese Fehler entspringen alle ein und derselben Quelle und sind deshalb auch auf ein und dieselbe Art zu heilen. Wenn wir der natürlichen Lebhaftigkeit des Kindes gleich bei den ersten Kundgebungen unsere volle Aufmerksamkeit widmen, und nicht erlauben, dass das Kind nur irgend etwas Unbedachtes time, oder wenn wir dasselbe die nachtheiligen Folgen seiner unbedachten Handlungsweise recht lebhaft fühlen lassen, können wir es leicht vor Leichtsinn bewahren. Wenn es aber schon leichtsinnig ist, dann wird es in den meisten Fällen sehr schwer und mühsam sein, dasselbe von seinem Fehler zu heilen. Vor allem andern heisst es also Vorbeugen, und sollte der Fehler schon vorhanden sein, dann ist die Hauptsache dem Kinde den rechten Weg zur Besserung zu weisen. Mann muss es dem Kinde recht klar begreiflich machen, worin eben sein Fehler besteht; es muss erkennen was der Leichtsinn ist und, dass die Vergesslichkeit, die Unordnung, die Unzuverlässigkeit nichts anderes sind als