Evangélikus Elemi Iskola, Budapest, 1882
8 — Fenster hinaussehen und schlägt mit dem Kopfe derselben das Fenster ein. Schnell läuft es wieder zur Mutter und ruft aber: „Mutter, Mutter, sieh’ doch, der garstige Gassenjunge dort, hat mit seiner Schleuder nach dem Fenster gezielt, als er mich daran stehen sah, und es eingeworfen.“ Von dem Gassenjungen ist natürlich keine Spur zu sehen. „Der hat sich selbstverständlich sofort aus dem Staube gemacht“. meint die herbeigeeilte Mutter, Riekcheu liebkosend. — es ist nur noch ein Glück, dass Dir nichts geschehen ist.“ So wurde Riekclien nach und nach eine recht tüchtige Meisterin in der Nothliige, bis es zur Schule kam. „Was sagte heute Tante Luise V „O, sie hat mich sehr belobt; doch diese meine Schürze gefiel ihr nicht und dann — die Mädchen lachen mich alle in diesem Hute aus!“ „Nun weine nicht, Riekclien, morgen sollst Du eine andre Schürze, einen neuen Hut haben, der steht Dir wirklich nicht mehr gut.“ Und Riekclien stolzierte des andern Tages aufgeputzt zur Schule, obgleich es der Lehrerin gar nicht in den Sinn kam, etwas anderes zu tadeln, als Rickchens Flatterhaftigkeit, zufolge deren es die Schürze bekleckst hatte. Und in der Folgezeit lichtete die schwache Mutter ihr Augenmerk darauf, ihr Riekclien stets auffallend zu kleiden: glänzende Lackschuhe, hohe blaue Seidenstrümpfe, kurzgeschürztes Röckchen, gekraust lierabwal- lende Locken, einen feinen Hut mit langer Feder; dass ihr Riekclien ja nur allen Vorübergehenden in die Augen Falle, da es der eitlen Mama so schmeichelte zu hören: „Ist das aber ein schönes Kind!“ Und obgleich der Vater einen neuen Ueberzieher höchst nötliig hätte, wird dem Riekchüi zur Weihme’its- beschernng doch die schönste Puppe mit 3—4 Toiletten zum Umkleiden gekauft, die nur zu haben ist. So wurde aus dem kleinen Riekclien das eitle Fräulein Irma, die blasirte, mit nichts zufriedene, unglückliche Modedame, vollkommen ausgebildet in der Lüge, wobei der Vater auch — und vielleicht noch mehr als die Mutter — als Lehrmeister mitgewirkt hat. War er z. B. beim Schreibtische mit unaufschiebbarer Arbeit beschäftigt, und es läutete im Vorzimmer, so musste schnell Riekclien den besuchenden Freund davon verständigen, dass Papa jetzt nicht zu Hause wäre ; — kaufte der Vater auf der Promenade seinem Lecker-Riekchen Naschwerk, wurde letzterem strenge aufgetragen, davon ja nichts der Mama zu sagen, die darüber höchst böse wäre; — sollte ............doch wozu fortsetze n ? Es gibt hundert und hundert kleine Lügen, welche die Eltern ganz ohne Scheu den Kindern sagen, da sie dieselben für