Evangelischen obergymnasiums, Bistritz, 1873

8 scheidungszeichen, möglichst sinngemäß und vor allem mit strenger Beachtung der Quantität der Silben. Namentlich in letzterer Beziehung werden trotz der diesbezüglichen Uebung von Prima an zahlreiche Verstöße gemacht. Darum darf der Lehrer das Lesen einer genauen Aufmerksamkeit und Ueberwachung nicht für unwerth erachten. Kein auch noch so geringer Fehler darf hingehen und vollends ein schleuderisches Rezitiren ist durch Wiederholung des Satzes zu rügen. Ist der gelesene Satz ein einfacher oder einfach erweiterter, so hat ihn der Schüler ohne Unterbrechung und Beihilfe des Lehrers sofort zu übersetzen. Ist es ein zusammengesetzter oder eine längere Periode, so muß zunächst der Hauptsatz oder die Hauptsätze gesucht und die Nebensätze angeschloßen werden. Diese Construktion ist auf heuristischem Wege zu bewerkstelligen, so daß der Schüler nicht vom Lehrer empfange, sondern vom Lehrer geleitet selbst finde. Es kommt hier darauf an, die Urtheilsfähigkeit des Schülers zu wecken und ihm die Freude zu lassen, dasjenige zu finden, was er selbst finden kann. Nun muß der Satz in derselben Reihenfolge, wie er zusammengesetzt wurde, wieder unter möglichst geringer Beihilfe und Correktur des Lehrers übersetzt werden. Diese Uebersetzung soll den lateinischen Text möglichst treu wiedergeben, denn nur so ist es möglich zu prüfen, wie weit der Schüler den fremden Stoff beherrscht und ob er sich gewissenhaft vorbereitet. Die Gewandt­heit des Ausdrucks in der Muttersprache muß bei dieser ersten wörtlichen Ueber­setzung nicht selten zum Theil geopfert werven. Dieses Opfer muß aber schon darum gebracht werden, damit dem Unwesen der Benutzung gedruckter Heber» setzungen, die leider schon in dieser Classe hin und wieder Eingang finden, gesteuert werde. Denn der Vortheil des Gebrauches dieser für die Schüler und damit das Lockende ihres Besitzes fällt zum größten Theil fort, wenn der Nachweis einer Vorbereitung auf das Pensum verlangt wird, wie sie aus jenen Hilfs­mitteln nicht entnommen werden kann. Dieser ersten Uebersetzung, wobei dem Lehrer kein Fehler und keine Unrichtigkeit entgehen darf, folgt nun die Berichtigung der mangelhaften und unpassenden Ausdrücke, der etwaigen Verstöße gegen die Construktion sowie die Erklärung der vom Uebersetzenden unrichtig verstandenen Stellen. Dieses alles muß jedoch in rascher, lebhafter Weise geschehen, so daß die Schüler alle zur Aufmerksamkeit und zum Mitdenken veranlaßt werden. Der Lehrer nimmt aus den bemerkten Jrrthümern Anlaß zu Fragen, die er bald an den aufgerufenen, bald an die übrigen Schüler richtet, und läßt das Richtige aus dieser gemein­samen Tbätigkeit aller bervorgehen. So wird am wirksamsten dem großen Ue- belstande einer gedankenlosen, stumpfen Träumerei der Schüler vorgebeugt. Be» kanntlich ist ja die Langeweile der Tod jeder Schulmeisterei. Darf nunmehr angenommen werden, daß die vorliegende Stelle von der ganzen Classe in sprachlicher Beziehung verstanden worden sei, so laße man sie

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