Evangelischen obergymnasiums, Bistritz, 1872

6 gebenen Bischof Boleslaw von Waizen mit eigener Hand am Altäre gefangen zu nehmen. Mit Hilfe eines schnell gesammelten Heeres gelang es ihm, seinen Bruder Andreas nach Oesterreich zu vertreiben. (1199.) Ein neuer Vergleich zwischen den Brüdern kam zu Stande durch Vermittlung deutscher Fürsten, die sich eben zu einem Kreuzzuge rüsteten und denen es nicht angenehm war, daß Ungarn, durch welches sie mit ihren christlichen Streitern ziehen sollten, von Aufruhr und Krieg erfüllt sei. Sie schickten den Erzbischof Conrad von Mainz als Friedensvermittler nach Ungarn und dieser söhnte die hadernden Brüder wieder aus (1200.) Andreas erhielt Kroatien und Dalmatien als Herzogthum und verpflichtete sich den längst versprochenen Kreuzzug baldigst zu unternehmen. Aber die unbezwingbare Herrschsucht des Andreas goß schon im Jahre 1203 den Fluch der Zwietracht wieder unter die Brüder aus. Als nämlich der König beschlossen hatte, auch in das gelobte Land zu ziehen, wollte er, damit die Thronfolge keine Verwirrung veranlasse, seinen kaum geborenen Sohn Ladislaus krönen laßen. Andreas konnte es aber nicht ertragen, daß ihm ein Kind sollte vorgezogen werden; er griff zu den Waffen. Alle Großen des Reiches und der größte Theil des Heeres fielen ihm zu. Die Wenigen, die treu zu Emrich dielten, riechen ihm zur Flucht, er aber zog dem feindlichen Bruder entgegen. In Dalmatien standen sich die beiden Heere in Schlachtord­nung aufgestellt und zum Entscheidungskampfe bereit, einander gegenüber. Da sah Andreas, umgeben von seinen vornehmsten Anhängern, seinen Bruder ohne Waffen, Rüstung und Gefolge, mit einem Stabe in der Hand, würdevoll her­anschreiten. Erstaunt und betroffen öffneten sich in stummer Ehrfurcht die Reihen seiner Krieger, als sein königlicher Bruder mit erhobener Stimme ihnen zu­rief: „Wer wagt es von Euch, die Hand gegen seinen gesalbten König zu er­heben?" Andreas selbst von dem unerwarteten Anblick seines Bruders über­rascht, duldete ohne Widerstand, daß ihn dieser bei der Hand ergriff und mitten durch seine vor Staunen festgebannten Schaaren nach dem königlichen Lager führte. So wurde Andreas in der Mitte seiner Bewaffneten gefangen durch die Entschloßenheit und den Heldenmuth des Königs. Den frevelhaften Versuch, dem Bruder die Krone zu entreißen, büßte er in strengem Gewahrsam auf der Burg Kheene in Kroatien; sein Heer trat willig unter die königlichen Schaaren. Als aber der König im Jahre 1204, nachdem er seinen 5jährigen Sohn Ladislaus zum Thronfolger hatte krönen laßen, in eine, schwere Krankheit ver­fiel und sein Ende herannahen sah, gab er seinem Bruder die Freiheit, söhnte sich mit ihm aus und ernannte ihn zum Vormunde seines Sohnes und zum Reichsverweser. Er hatte sein Höchstes und Liebstes zwar dem Bruder anver­traut, aber nicht gerechnet, daß der Bruder, der von blinder Herrschsucht ge­stachelt, schon dreimal das Schwert gegen ihn erhoben, es nicht unterlaßen würde, nun mit frevelnder Hand die Krone von dem Haupte seines schwachen

Next

/
Thumbnails
Contents