Evangelischen obergymnasiums, Bistritz, 1872

wußten die mächtigen Edelleute, die sich am meisten mit Krougütern bereichert hatten, den Thronerben beim Könige zu verdächtigen, er wolle den Adel gegen den Vater aufreizen, um selbst in den Besitz der Krone zu gelangen. Aber Bela ergriff, als der König diesen Verdächtigungen Gehör schenkte und feierlich versprochen hatte, seine frühern Schenkungen nicht zu widerrufen, mit seinen Verbündeten gegen den Vater die Waffen. Schon standen sich die Heere ge­rüstet gegenüber, schon drohte der Bürgerkrieg mit seinen Gräueln dem zer­rütteten Reiche, als die Geistlichkeit, mit der Androhung des päbstlichen Bannes ausgerüstet, zwischen Vater und Sohn den Frieden zu Stande brachte. Die Vor­schläge der Verbündeten wurden nun in der vom Könige im Jahre 1222 aus­gestellten goldenen Bulle *) zum Landesgesetze erhoben. Um allen spätern ge­setzwidrigen Schenkungen vorzubeugen, wurde darin verordnet, daß ganze Co- mitate oder Reichsämter an Niemanden erblich verliehen werden durften. Schenkungen an Fremde waren überhaupt unzuläßig. Niemand außer dem Palatin,**) Banns***) und den beiden obersten Hofrichtern****) des Königs und der Königin durfte mehrere Aemter zugleich verwalten. Den Hauptgegenstand der goldenen Bulle bildete die Wiederherstellung der von Stefan I. gegründeten Comitatsverfassung und die Bestimmung über die Heerespflicht der Adligen. Der höhere und niedere Adel des Landes erhielt, weil auf ihm die ganze militärische Kraft des Reiches beruhte, wesentliche Rechte. Die Ländereien und Häuser, die von den Unterthanen der Edelleute bebaut und bewohnt wurden, waren der Besteuerung nicht unterworfen. Von der Be- wirthung des Königs, die damals eine schwere, mit großen Kosten verbundene Last war, wurde der Adel befreit. Ueber seine Unterthanen (Hörigen) übte er in bürgerlichen Rechtsangelegenheiten die herrschaftliche Gerichtsbarkeit aus. Diebe und Strassenräuber verurtheilte der Stuhlsrichter (Szolga bíró) unter Vorsitz des Obergespann. Ueber den Adel selbst führte der Palatin und der oberste Hofrichter die Gerichtsbarkeit. Doch durfte kein Adliger ohne vorherge­gangenes gerichtliches Verhör und Urtheil gefangen gehalten oder seiner Güter beraubt werden. Urtheile über Leben und Tod und über den Verlust der Güter bedurften aber der Bestättigung des Königs. Weil die Ausübung der Gerichts­barkeit in den damaligen Zeiten mit großen Einkünften verbunden war, und die Dunkelheit und Mangelhaftigkeit der Gesetze ein Gerichtsverfahren nach dem *) Bulla heißt iu der Urkundensprache des Mittelalters ein Siegel. Von dem goldenen Siegel, mit welchem diese Urkunde bekräftigt war, erhielt dieselbe vorzugsweise den Namen der „goldenen Bulle." **) Der Palatin (Pfalzgras, Großgraf) nahm den ersten Rang nach dem König ein, war sein oberster Rath in Reichsangelegenheiten, der Bewahrer des königlichen Siegels und Vermittler zwischen König und Volk. ***) BanuS, Statthalter von Dalmatien und Kroatien. ***•*) Der oberste Hofrichter (Judex curiae) entschied die Streitigkeiten der am könig­lichen Hofe angestellten Beamten und Diener.

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