Evangelischen obergymnasiums, Bistritz, 1871
8 Wer, wie die Engländer durch die heimathlichen Zustände befriedigt ist zieht unbeschadet seiner Seelenruhe hinaus, ja kehrt zufriedener zurück. Wer von der Außenwelt sich abschließt wird einseitig; seine Bildung verkümmert, wer mit Vorliebe draußen lebt, verliert allen Halt. Das gilt von Einzelnen wie von ganzen Völkern z. B. den Deutschen und Franzosen. Jene sind lange sich selbst fremd gewesen; diese verloren das Verständniß für die mit und neben ihnen lebenden Völker. Die Bildung des Einzelnen verlangt auch das Verständniß des Zusammenhanges zwischen der eigenen Bildung und der seines Volkes. Beide, der Einzelne und das Ganze müssen in der Wechselbeziehung des Empfangens und Gebens stehen. Das Kind muß zunächst von seinem Volke empfangen; in seines Volkes Denk-, Sprech- und Lebensweise sich einleben um als Mann geben zu können. Die Volksbildung darf, soll sie gesund bleiben, Fremdes nur in so weit aufnehmen, als sie es sich anzueignen vermag und es mit dem eignen Wesen verwandt ist. Es ist nur dann das Aufgenommene nützlich und Bereicherung, wenn es Anregung bleibt und das Eigene veredelt; es wird zum schwersten Schaden, wo es das Heimische bestimmt, ja zuletzt unterdrückt. Das griechische Volk hat sich zwar durch Fremdes anregen, aber seine Bildung nie bestimmen lassen.» Sie war und blieb durchaus griechisch, national. Wenn wir uns die Griechen zum Muster nehmen in unserer Bildung so sollte das vernünftiger Weise nur heißen: Wir Deutsche wollen deutsch sein, wie die Griechen griechisch; nicht aber: Wir Deutschen müssen aus unserer deutschen Haut fahren, uns unserer Art entänßern, die deutsche Sprache und Literatur während voller sechs Studienjahre stiefmütterlich behandeln zu Gunsten der Erlernung griechischer Wortformen oder gar wir sollen uns griechische Haut anziehen. Am tollsten hat dieses verkehrte Bildungsideal in den Humanisten gespuckt. Sturm und Trotzendorf priesen die römischen Knaben glücklich, daß sie von Jugend auf lateinisch sprechen konnten und betrachteten die deutsche Sprache als niedrig und gemein, die man suchen müsse den Kindern sobald als möglich abzugewöhnen, eine Anschauung, die noch keineswegs im 19. Jahrhundert ganz erloschen ist und ihren Ausdruck findet in der Behauptung, daß Krone und Gipfel des Ghmnasial- unterrichtes sei — der lateinische Aufsatz. Die Aneignung und der Besitz der allen Leuten eines zu einer gewissen Zeit gemeinsamen Bildung ist die allgemeine Bildung. Die allgemeine Bildung besteht in der Gleichheit der sittlich-religiösen Anschauung, der Kenntniß der Muttersprache und vaterländischen Litteratur, der vaterländischen Geschichte und Geografie. *) *) Ich nehme hier Geografie im weitern Sinne und rechne zu ihr die Kenntniß der auf dem heimathlichen Boden wachsenden Pflanzen und Thiere, der Landesproducte, des Klimas n. s. w.